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Viertausendvierhundert Augen

■ Kunst fürs Büro: Versicherung kauft direkt von der Hochschule

Ein kleiner Rest der Bausumme eines Büroneubaus wird meist für etwas Kunst ausgegeben. Aber statt zehn teure und berühmte Arbeiten für die Vorstandsetage nebst Reproduktionen für die Flure zu besorgen will die Volksfürsorge Versicherung für ihre neuen 2200 Arbeitsplätze am Besenbinderhof 1300 Bilder von Kunststudenten ankaufen. Fünftausend Collagen, Fotos und Bilder unterschiedlichster Machart zeigen die Meisterschüler der norddeutschen Kunsthochschulen in Hamburg, Bremen, Kiel und Hannover in vier Austellungen im Hause. Die Mitarbeiter wählen dann selbst aus, was ihnen davon gefällt.

„Wir sind ein sehr mitarbeiterorientiertes Unternehmen, und so wollten wir alle an der Auswahl der Kunst für die eigene Arbeitsumgebung beteiligen“, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Helmut Kuehl. Mitbestimmung mit Lust also, und nebenbei mag es für manche gar der erste Kontakt zur originalen Kunst sein. Der private Erwerb zum abgemachten Einheitspreis wurde ausdrücklich ermutigt. „Außerdem sehe ich das auch ganz unternehmerisch: Vielleicht sind einige der Künstler später das Hundertfache wert. Ein Poster taugt später nur noch fürs Altpapier“, so Kuehl. „900 000 Mark für junge Künstler auszugeben ist doch besser als das, was sonst als Kunst am Bau realisiert wird“.

Da bleibt nicht viel zu kritisieren, selbst ein Überhang an Blümchenbildern ist mangels Angebot und durch Zwischenschaltung einer Kunstagentur nicht zu erwarten. Was hält nun eine der vier angesprochenen Hochschulen von solch eindeutiger Dienstleistungsproduktion? „Wenige Professoren sehen dies kritisch, die meisten Schüler sind froh, etwas zu verkaufen“, sagt Barbara Riecke, die Sprecherin der Hamburger Kunsthochschule am Lerchenfeld. Berührungsängste, wie es sie vor zwanzig Jahren gab, sind auf beiden Seiten verschwunden. Eine Öffentlichkeit von viertausendvierhundert Augen und ein Budget von einer knappen Million Mark hat junge künstlerische Flachware heutzutage selten. Ist die oft behauptete Kunstfeindlichkeit also nur noch ein Popanz und das Geraunze mancher Boulevardblätter nur folgenloser Theaterdonner? „Wir haben einmal die Woche solche Anfragen“, sagt Barbara Riecke, „aber oft wird nichts draus, und selten hat es solche Dimensionen wie bei der Volkfürsorge.“

Es bleibt anzumerken, daß der erweiterte Kunstbegriff – Installation, Medienübergreifendes und Aktionen – bei solchen Projekten natürlich gar nicht erst angesprochen werden. Aber immerhin ist in einem Teilbereich der aktuellen Kunst eine soziale Akzeptanz der Künstler zu bemerken: als Fachleute fürs Dekor. Und das ist sozial erfreulich und theoretisch erschreckend zugleich, denn so hat sich doch seit der letzten Jahrhundertwende eigentlich nichts Wesentliches geändert.

Hajo Schiff

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