: „Ich fühle mich nun mal als Deutscher und nicht als Türke“
■ Obwohl hier in Deutschland aufgewachsen, soll ein 27jähriger in die Türkei abgeschoben werden
Vor 25 Jahren waren sie begehrt: Gastarbeiterfamilien aus der Türkei. Mit Kind und Kegel wurden sie am Bosporus angeworben, um als Billigarbeitskräfte den Wirtschaftsboom in der Bundesrepublik zu forcieren. Damals ahnte niemand, daß 25 Jahre später in dem gleichen Land eine ganz andere, rigidere Ausländerpolitik herrschen werde. Leidtragende sind nun die Kinder: Sie fühlen sich eher als Deutsche statt als Türken. Dennoch sind auch sie immer öfter von Abschiebung bedroht.
So ergeht es derzeit Tekin Sengül. 1968 kam er mit seiner Familie nach Deutschland – Tekin war ganze neun Monate alt. „Ich weiß, daß meine Eltern damals beschlossen, nach Deutschland zu gehen, nicht nur wegen ihrer finanziellen Zukunft. Sie wollten sich auch ihre Würde bewahren, was damals schon schwer war in der Türkei.“ Tekin wuchs in der Bundesrepublik auf und ging hier zur Schule.
1983 entschloß sich der 15jährige, die Chance zu ergreifen und für eine Zeitlang in die Türkei zu gehen, nachdem er einen Platz auf der Deutschen Schule in Istanbul bekommen und seine Schwester eine Anstellung als Sekretärin gefunden hatte. Tekin: „Ich war schon mehrfach im Urlaub in der Türkei gewesen. Das war immer toll. Und die herrliche Aussicht, ohne Aufsicht der Eltern zu leben. Ein Hauch von frischen Freiheiten.“
Doch nach Beendigung der Schulausbildung 1989 trieb es Tekin Sengül wieder in seine eigentliche Heimat. „Als ich im April 1989 wieder nach Deutschland kam, war ich zum ersten Mal von staatlicher Seite damit konfrontiert, nicht als gleichberechtigter Bürger in der Bundesrepublik angesehen zu werden.“ Für Tekin ein „ironischer Umstand“, wie er meint: „Während meines Aufenthaltes in der Türkei war ich gleichberechtigt, aber in meinem Freundeskreis fremd, während ich hier vom Staat fremd, doch von meinen Freunden gleichberechtigt angesehen werde.“
Nach jahrenlangem behördlichen Spießrutenlauf verzichtete Tekin 1992 auf einen Aufenthaltsstatus als „ausländischer Student“ und verlangte ein gesichertes Bleiberecht. Seither hielt sich Tekin - nach den restriktiven Ausländergesetzen – illegal in Deutschland auf, was dazu führte, daß die Ausländerpolizei ihn im August 1994 drei Wochen in den Untersuchungsknast steckte, wg. „Fluchtgefahr.“
Seither hangelt sich Tekin Sengül, der seinen Lebensunterhalt als Komponist und Sänger bestreitet, von Duldung zu Duldung. Heute muß der 27jährige erneut zur Ausländerbehörde. „Ob ich eine Verlängerung bekomme, weiß ich nicht.“ Über seine Anwältin Gabriele Heinecke hofft Tekin aber, im Rahmen einer „Rückkehrregelung“ einen festen Aufenthaltsstatuts durchsetzen zu können. Tekin Sengül: „Ich fühle mich nun mal als Deutscher und nicht als Türke.“
Kai von Appen
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