piwik no script img

Die Welt ist für alle da

■ Harald Muellers Neufassung des „Kohlhaas“ im EDT

Einen gemütlichen Theaterabend in guter, alter Ernst-Deutsch- Tradition hat Johannes Kaetzler da serviert. Das Stück politisch, die Schauspieler engagiert, das Publikum betroffen. Nicht wirklich tief, aber ernst geguckt haben alle. Es gab was zum Nachdenken über die Willkür der Mächtigen und den Kampf der kleinen Leute. Über Machtmißbrauch und die Entwicklung der Gewaltspirale. Alles sehr intellektualisiert, die Eindrücke haften nicht weiter als bis zum nächsten Glas Sekt.

Es wird erklärt, wie ein Guter böse werden kann, ein Unschuldiger ungerecht. Gestützt durch soviel Psychologie, bleibt das Handeln beider Seiten nachvollziehbar.Der Kurfürst von Sachsen (Peter Gross) hat solche Angst, daß er ständig Untertanen auf die Streckbank legen lassen muß. Der einstmals brave Bürger Kohlhase (Stephan Schwartz) fühlt sich so verantwortlich, für die Vernunft und die Freiheit aller Unterdrückten, daß ihm die blutigsten Mittel recht sind.

Dabei appellieren die Frauengestalten an Herz und Gefühl ihrer verrohenden Männer. Das rote Kleid der Julia (Minni Oehl) und die Beleuchtung in warmem Amber unterstützen die Suggestion vom dem vermeintlichen Aus-dem-Bauch-raus-Prinzip des Weiblichen. Argumente darf dagegen der Berater des „Sachsen“, Felix von Pollwitz (Ralf Komorr), liefern. Er weist den Ausweg aus der Brutalität, indem er das Gespräch mit den Rebellen fordert, was ihn bald den Kopf kostet.

Was lehrt uns das? Gewalt bringt niemanden weiter als bis zum Kotzen, was die Darsteller ausgiebig praktizierten. Entgegenkommen und deeskalierende Politik wären die Lösung. Und wenn das Pfeiferhänslein (Ulf Goerke) singt: „Die Wälder und die Wiesen/sind nicht nur für die Riesen...“, lernen wir auch, daß die Welt niemandem gehört, sondern für alle da ist. Das ist doch ganz erklecklich für ein Stück, das so konventionell auf der schrägen Bühne steht, daß sich mancher an ein Passionsspiel erinnert fühlte.

Die Obrigkeitskritik dieses „Kohlhasen“, wie er hier heißt, tut niemandem weh, Einfühlung ist nicht vorgesehen. Sparsames Bühnenbild von Christof Hußmann, durch das Licht in imaginäre Räume unterteilt, Anspielungen auf die Simultanbühne des mittelalterlichen Dramas. Alles gut durchdacht und professionell gemacht. Eine Aufführung, wie geschaffen für Deutschlehrer, die ihre Klasse das Analysieren üben lassen wollen.

Ilka Fröse

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen