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Faule Zähne, welke Brüste

■ Kulturetage Oldenburg: „24 hours with an indisposed queen“

Kaum eine Queen bot so viel dramatischen Zündstoff wie sie: Elisabeth I. ist eine Figur, die wegen ihrer Skrupellosigkeit, mit der sie ihre Gegner zu hänkern wußte, wie geschaffen ist für die Bösewichterei im Theater. Schon zu Lebzeiten spottete man über ihre schwarzen Zähne und die scheinheilige Tartüfferie, mit der sie sich durch ihre 45jährige Regentschaft heuchelte.

„24 hours with an indisposed Queen“ heißt die neueste Produktion des Oldenburger Kulturetagen-Ensembles, das am Donnerstag seine Premiere feierte. Das 90 Minutenstück soll die Nachfolge von Terra Felicitas antreten, ein Stück, mit dem das Ensemble international den Durchbruch schaffte.

Nach Friedrich Schiller also ein weiteres Kapitel aus dem Leben der machthungrigen, verschrobenen Queen Beth? Noch einmal ihr lügendurchzogenes Intrigenspiel, das Maria Stuart den Kopf kostete?

Die Antwort war eindeutig und gelungen. Gezeigt wurde nicht jene unerbittliche Regentin, die England zum Imperialismus verführte. Die erste aller Elisabeths war an diesem Abend eine kränkliche Frau, vergeblich nach Zärtlichkeiten suchend und auf Heilung hoffend. „Diese Elisabeth ist ebensogut eine Frau des 20. Jahrhunderts“, betont Gastregisseurin Tine Madsen. „Wir wollten kein historisches Abbild formen. Die Privatperson Elisabeth und ihr kulturelles Erbe waren unsere Ideengeber.“

Tine Madsen zeigte sich auch für die Textbearbeitung verantwortlich. Sie entschied sich für eine englische Fassung. Einfach und doch kraftvoll. Zusammen mit den drei HauptdarstellerInnen Christina Böckler, Tina Harms und Ralf Selmer entwarf sie eine eindrucksvolle Bild-Collage. Ein Bildertagebuch in 21 Szenen, das vom Unwohlsein beim Aufstehen bis zum mitternächtlichen Finale im Garten der Genesung berichtet.

Als elisabethanischen Spielplatz entwarf Bühnenbildner Kalle Krause ein fahrbares rechtwinkliges Stahlgerüst mit einem verstellbaren Gitterboden. Mit wenigen Handgriffen mutierte der stählerne Kasten von einer schräggestellten Spielwiese zu einer großflächigen Mittagstafel oder zur psychiatrischen Anstalt. Ein wunderbar wandelbares Bühnenbild.

Mit einfachen, aber effektiven Mitteln zu arbeiten, das war nur eine der großen Stärken dieser Inszenierung. Tine Madsen servierte dem Oldenburger Publikum eine kostbare Melange aus Tanz- und purem Bildertheater. Das eine erinnerte an Pina Bausch, das andere an die Filmtableaus von Peter Greenaway. Erinnerungen werden wach, wenn die abendliche Mahlzeit mit einer großen Kartoffelbreischlacht endet. Wenn Elisabeth wie eine Marionette an einem Fahrradschlauch baumelt und mit wilden Zuckungen das Lachen ihrer Mitspielerin auf groteske Weise kommentiert. Dann hat das Stück eine ungeheure Kraft. Eine Intensität, die zum Träumen und Schwärmen verleitet.

Doch leider, leider, dieser Intensität geht ausgerechnet während der letzten Bilder die Puste aus. Ein Finale, wie auf dem Programmzettel angekündigt, gab es nicht. Die wunderbaren Sequenzen aus dem Mittelteil ertranken in einem beinahe harmlosen, schüchternen Schlußakkord. Schade. Denn an den SchauspielerInnen lag es wohl kaum. Besonders Tina Harms und Christina Böckler überzeugten mit einer bemerkenswerten musikalischen und tänzerischen Leistung.

Das Stück um einige Szenen verkürzt, es könnte durchaus der erhoffte Nachfolger von Terra werden. Aber auch so – allemal sehenswert. T.L.

Heute und am 31.10. um 20.30 in der Oldenburger Kulturetage

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