Nachgefragt: Begründung abwarten
■ Interview mit Justiz-Staatsrat Göbel
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat die Vergabe von Brechmitteln jetzt für rechtswidrig erklärt. Wir wollten von Justizstaatsrat Michael Göbel wissen, ob die Bremer Justiz aus diesem Urteil Konsequenzen zieht.
taz: Herr Göbel, werden mutmaßliche Drogendealer nach diesem Urteil in Bremen jetzt weiter mit Ipecacuanla zum Brechen gezwungen?
Michael Göbel: Das Problem an der Entscheidung ist, daß sie noch nicht schriftlich vorliegt. Wir wissen nicht, was in der Begründung steht.
In der Pressemitteilung zum Urteil steht, daß die Vergabe von Brechmitteln einen „unerlaubten Eingriff in die körperliche Unversehrtheit“ darstellt und „gegen das Gebot der Achtung der Menschenwürde und der allgemeinen Persönlichkeitsrechte“ verstößt. Außerdem waren die Richter der Meinung, daß die Beschuldigten durch diese Behandlung zum „Objekt degradiert“ würden.
Das ist die Pressemitteilung zur mündlichen Begründung – und die wirft mehr Fragen auf als daßsie Antworten gibt.
Inwiefern?
In Frankfurt ging es um einen Fall, der in Bremen nicht stattfinden würde. Dem Beschuldigten ist die dreifache Dosis Ipecacuanla verabreicht worden. Danach ist ihm Apomorphin gespritzt worden (Anmerk. der Red.: Apomorphin wirkt auf das zentrale Nervensystem und führt zu krampfhaftem Erbrechen). Es ist keine Exploration vorgenommen worden. In Bremen wird eine Exploration vorgenommen, und es darf keine Überdosis verabreicht werden. Apomorphin ist verboten. In einem solchen Fall hätten wir die Staatsanwaltschaft bemüht, um gegen die Beamten zu ermitteln.
In Frankfurt ging es um den Fall eines Mannes, der als Drogendealer überführt worden ist. Trotzdem haben die Richter die Brechmittelvergabe als „unerlaubte Vernehmungsmethode“ eingestuft und entschieden, daß die erbrochenen Beweise nicht im Strafverfahren gegen ihn verwertet werden dürfen. Die Richter halten die Brechmittelvergabe also generell für rechtswidrig.
Aus der Pressemitteilung wird nicht ganz klar, ob das nur beiläufige Randbemerkungen sind oder ob die Entscheidung der Richter sich darauf stützt. Der Verstoß gegen die Menschenwürde soll nur eine beiläufige Randbemerkung sein?
Wenn sich das Urteil wirklich darauf stützt, müßte sich das OLG mit der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, wie zum Beispiel dem des OLG Düsseldorf, auseinandersetzen. Wir sind sehr auf die Argumentation gespannt. Die müssen wir allerdings abwarten.
Das heißt, solange die schriftliche Urteilsbegründung nicht vorliegt, wird in Bremen weiterhin Ipecacuanla verabreicht?
Wir wehren uns nicht gegen neue Erkenntnisse, aber im Augenblick sehen wir keine Veranlassung, unsere Praxis zu ändern – auch weil wir jetzt Konsenz mit der Ärztekammer haben. Fragen: Kerstin Schneider
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