: Im Stau und in den Sternen – „Qi“ ist überall
Der unsichtbare Feinstoff Qi wohnt allem Leben inne und lenkt die Energieströme im menschlichen Körper, sagt die chinesische Naturphilosophie. Die jahrtausendealte Heilmethode Qi-Gong hilft, sich auch im Alltag zu entspannen■ Von Anna Petry
Qi ist in einem Frühstücksei, und Qi ist in den Sternen. Wir essen, atmen, brauchen es, aber können es nicht sehen. Auch der chinesische Philosoph Laotse gibt nicht des Rätsels Lösung: „Es ist nicht das, was sich beschreiben läßt.“ Qi ist nicht etwa die Bezeichnung einer neuen Entdeckung, des nun wirklich kleinsten, unteilbaren Teilchens. Qi ist chinesisch und bedeutet Lebensenergie.
War die Arbeit mit diesem rätselhaften Feinstoff über Jahrhunderte dem fernen Osten vorbehalten, probieren heute immer mehr Menschen unseres Kulturkreises asiatische Heilverfahren aus. Auf der Suche nach ihrem körperlichen und seelischen Gleichgewicht, frustriert von westlicher Konsumhaltung und Medizin, versuchen sie es mit Qi-Gong, einer alten, chinesischen Heilkunst, bei der der Praktizierende sich aktiv erleben soll. Mit Qi-Gong kann er, wenn es denn klappt, Lebensenergie im Körper lenken, speichern und erneuern.
„Um Qi-Gong auszuüben, muß man nicht krank sein. Qi-Gong ist ein allumfassendes System, mit dessen Hilfe ein jeder mit Freude zu seinen Wurzeln finden kann. Die gesundheitsfördernde Wirkung ist nur ein sehr kleiner Teil“, so Carola Mohr, Physiotherapeutin und Lehrerin am Qi-Gong-Institut für ganzheitliche Entwicklung. Qi-Gong könne jeder erlernen, unabhängig von Alter und körperlicher Beweglichkeit. Als Krankheitsvorbeugung sei Qi- Gong gerade bei Kindern wertvoll. Bisher übernehmen die Krankenkassen sogar zum Teil die Kosten für Qi-Gong als Krankheitsvorbeugung. Regelmäßiges Üben soll dann Wunder bewirken, schwören die Anhänger.
Die Kursteilnehmer sitzen, stehen oder liegen und folgen dem Lehrenden. „Spüre in dich hinein, um dich herum ist es still und langsam, ganz langsam entläßt du den Alltag.“ So könnte ein Qi-Gong- Seminar beginnen. Wichtigster Ausgangspunkt für die Übungen ist das Entspannen. Mit Hilfe von ruhigen Bewegungsabläufen und der Vorstellungskraft sollen Gelassenheit und Distanz zum Alltag leichter gemacht werden. Die Teilnehmer stellen sich zum Beispiel vor, Wolken am Himmel auseinanderzudrücken.
Das stille Qi-Gong ist die älteste Methode. Hierbei bewegen sich die Teilnehmer nur sparsam, in sehr langsamen und verhaltenen Bewegungen. Qi-Gong arbeitet mit der Harmonie der Gegensätze. Öffnen und Schließen, Steigen und Sinken, Yin und Yang. Bei den Übungen folgen auf über den Kopf steigende Armbewegungen, sinkende Armbewegungen zur Körpermitte. Die Gegensätze sollen wahrgenommen und die Einseitigkeit aufgehoben werden durch die Erinnerung an ihren Gegenpol. Ist die Gelassenheit und Stille dann eingekehrt, kann Qi fließen. Spannungen und Blockaden können sich lösen. Qi folgt Energiekanälen im Körper. Dieses unsichtbare Leitsystem wird auch Meridiansystem genannt. Regelmäßiges Üben kann das Immunsystem stärken, die Lernfähigkeit und Kreativität steigern, dem Alterungsprozeß entgegenwirken und Körper, Geist und Seele ausbalancieren.
„Als ich mit Qi-Gong anfing, war ich ziemlich krank. Außerdem brauchte ich eine starke Brille.“ Heute, zwei Jahre später, braucht Katrin ihre Brille kaum noch. Das klingt zu gut, Erfolge dieser Art mit dem unsichtbaren Stoff sollen aber kein Einzelfall sein. Ausbrechen aus der Hektik des Alltags mag allein Wunder bewirken. „Wir sind aus den Fugen geraten. Unser Leben ist überwiegend aktiv orientiert. Der Yang-Pol hat überhandgenommen. Bei Alltag, Streß und Lärm fehlen Stille und Zurückgezogenheit“, sagt Carola Mohr. Dieses natürliche Gleichgewicht wiederzufinden, dabei helfe dann Qi-Gong.
Qi-Gong ist fester Bestandteil der chinesischen Naturphilosophie. Seine Wurzeln lassen sich bis zu dreitausend Jahre vor Christus zurückverfolgen. Das geheime Wissen wurde in streng eingehaltenen Traditionslinien nur an Eingeweihte übertragen. Dieses Wissen zu wahren und weiterzugeben ist Ziel des Qi-Gong-Instituts. Zwar ist niemand, der sich ein wenig gesünder machen will, gezwungen, sich der philosophischen Lehre auszuliefern. Ganz darum herum kommt der Qi-Gong-Praktizierende jedoch nicht. Qi-Gong orientiert sich an einer ganzheitlichen Auffassung, das heißt Körper, Seele und Geist werden gleichermaßen angesprochen und sind eine nicht trennbare Dreiheit.
Wesentlicher Inhalt der chinesischen Philosophie ist die „Lehre von Yin und Yang, die zwei Pole einer Einheit darstellen und die Grundlage des Lebens bilden. Ursprünglich bedeutet Yin die Schattenseite und Yang die lichte Seite eines Berges. Das Leben wird gedacht als ein ständiger Wechsel von Yin nach Yang und umgekehrt. Dabei gilt die Auffassung, daß im reinen Yin ein Keim des Yang und im reinen Yang ein Keim des Yin enthalten ist. Yin und Yang sind die Urbilder sämtlicher Polaritäten. Sich diesen bewußt zu stellen führt auf den Weg zum Einklang mit sich und der Welt. Ein Weg also des Ausgleichs, im Fluß des Lebens. Was dann fließt, ist der alles durchdringende Feinstoff Qi. Blockaden werden befreit, und Qi kann ungehindert fließen. Dabei soll der Austausch mit kosmischem Qi stattfinden. Qi, noch immer unsichtbar, macht sich bemerkbar. Empfindungen wie Wärme und Durchströmtsein tauchen auf.
Qi-Gong soll mehr sein als nur massenbewegte Freiluftgymnastik. Ziel ist es, die Heilkunst Qi- Gong so in den Alltag einzubauen, daß dieser kein Schnippchen mehr schlagen kann. Richtig angewendet also: Qi-Gong in der U-Bahn, Qi-Gong im Stau, und der Streß ist weg.
Qi-Gong-Institut für
ganzheitliche Entwicklung
Ringbahnstr. 3, 10711 Berlin,
Tel./Fax: 8912884
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen