■ Berliner Telegramm: Prozeßlawine gegen Antimilitaristen
Mindestens fünf Prozesse gegen Wehrpflicht- und Militärgegner werden in den nächsten vier Wochen vor dem Amtsgericht Tiergarten und dem Landgericht eröffnet. Erster Termin ist morgen gegen Thomas J. aus Bernau. Er muß sich vor dem Amtsgericht wegen der Teilnahme an der Gleisblockade eines Rekrutenzugs Anfang April diesen Jahres verantworten. Mit der Schienenblockade protestierten die Kriegsdienstgegner gegen den „Ehrenschutz“ für Soldaten.
In der gleichen Sache wird am kommenden Dienstag gegen den 31jährigen Lutz B. verhandelt. Lutz B. wird Nötigung und Hausfriedensbruch vorgeworfen. Sein Anwalt Sven Lindemann hält die Anklage für „absurd“, denn „sich bei einer Blockade hinsetzen“ sei nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil keine „Gewalt“. Doch das scheint die Gerichte wenig zu stören: Bereits in der vergangenen Woche wurde eine 19jährige Frau wegen der Blockade zu drei Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.
Auch festgenommene Demonstranten, die gegen die öffentliche Gelöbnisfeier vor dem Schloß Charlottenburg protestierten, müssen jetzt vor das Amtsgericht. Im Juni wurden 94 Personen festgenommen und acht Personen dem Haftrichter vorgeführt. Gegen einen der Festgenommenen gebe es einen Strafbefehl über 10.000 Mark, so Michael Berendt, Mitarbeiter der Kampagne gegen Wehrpflicht. Ebenfalls nächste Woche wird der Prozeß gegen den Totalverweigerer Oliver Blaudszun wiederaufgerollt, der schon in der DDR 14 Monate wegen Repulikflucht im Gefängnis saß. Anfang dieses Jahres wurde er wegen Fahnenflucht zu drei Monaten Haft verurteilt. Nach Angaben seines Anwalts fordert die Staatsanwaltschaft nun eine noch höhere Strafe. Berendt bezeichnete die Prozeßlawine als „abschreckende Maßnahme“ gegen Kritik an der Bundeswehr und der Militarisierung des öffentlichen Raums. nau
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