: Unterm Teppich - betr.: "Unwirtliche Wahrheit", taz vom 23.10.1996
Die derzeitige Aufregung und Empörung über die vorgeschlagene Besteuerung von Bettlern in Hamburg ist sicherlich verständlich und durchaus angebracht, dennoch läßt sie uns dieser Tage umso schwerer Schlucken.
Schließlich sind unter den mehr als 150.000 Sozialhilfeempfängern in unserer Stadt rund 52.000 Mädchen und Jungen, von denen zwar nicht jede(r) hungert und die meisten ein Dach über dem Kopf haben, die aber nichtsdestotrotz als bettelarm bezeichnet werden können. Doch während sich die Öffentlichkeit über das Schicksal der Erwachsenen empört, wird dieser alltägliche Irrsinn auch weiterhin mit Nichtbeachtung gestraft. Dabei ist das Elend dieser Kinder mindestens genauso schlimm, sie haben eben nur keine ausreichende Lobby.
Die Debatte um das „Bettler-Papier“ der Innenbehörde läßt jedoch noch eine weitere bittere Erkenntnis zu: Unsere Stadtväter scheinen um keinen Preis wahrhaben zu wollen, daß es (wie in jeder anderen Großstadt auch, ob Oslo, Madrid oder New York) bedrückende Armut in Hamburg gibt. Ob sie nun nicht in das Bild vom „Tor zu Welt“ paßt, oder ob sie gegen ihren hanseatischen Stolz verstößt – nach dem Motto: „Was nicht sein darf, das gibt es auch nicht..“, soll dieser gesellschaftliche „Schandfleck“ in Form von bettelnden Menschen einfach von unseren Straßen verdrängt, verschwiegen und somit unter den Teppich gekehrt werden. Die Hansestädter sollen sich was schämen! Wolfgang Lütjens,
Pressesprecher der Deutschen Hilfe für Kinder von Arbeitslosen e.V.
Betr.: „Die Wahrheit in rechten Augen“ und „Sie hätten ihn kennenlernen sollen“, taz hh vom 25.10.96
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