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Im Zweifel für den Flugverkehr

Der „Zweiliterflieger“: Forschungsminister Rüttgers und die Lufthansa versuchen, Jets als ökologische Transportmittel zu verkaufen  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Vorweihnachtliches Shopping bei Harrod's in London, Schlendern auf dem Münchener Marienplatz – das schlägt die Lufthansa ihren KundInnen als Samstagsbeschäftigung vor. Morgens hin, abends zurück. „Unsere Zeit verlangt so viel Mobilität wie nie zuvor“, so ein Werbeslogan der Lufthansa. Um KritikerInnen aus der Ökoecke zu beruhigen, weist die Fluggesellschaft auf den sinkenden Treibstoffbedarf für jeden transportierten Passagier hin: Nur 3,7 Liter Kerosin auf 100 Kilometer würden verbraucht, heißt es in Anzeigen.

Zur Berechnung dieses Werts haben die Leute aus der PR-Abteilung allerdings nur die 14 modernsten Maschinen des Konzerns ein Jahr lang untersuchen lassen. Die Airbus-A 340-Langstreckenflieger, die vorwiegend zwischen Europa und Amerika pendeln, sind mit 80 Prozent ungewöhnlich gut ausgelastet. Auch die spritfressenden Starts und Landungen schlagen auf den großen Entfernungen vergleichsweise gering zu Buche. Pressesprecher Axel Kleinschuhmacher räumt daher ein, daß die Ökobilanz der Lufthansa-Flotte mit ihren mehr als 300 Flugzeugen weniger positiv klingt: 5,3 Liter werden benötigt, um einen Durchschnittspassagier 100 Kilometer weit zu transportieren.

„Die Effizienz ist der Umwelt Wurscht. Wichtig ist, was insgesamt hinten rauskommt“, kommentiert Karl-Otto Schallaböck vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. So brauche ein Flugzeug heute zwar im Durchschnitt nur noch halb soviel Kerosin wie Anfang der 60er Jahre. Auch viele Abgaswerte hätten sich deutlich verbessert. Weil aber heute 50mal so viele Kilometer in der Luft zurückgelegt würden wie damals, sei der Energieverbrauch allein im Luftverkehr um 2.500 Prozent gestiegen. „Das einzig Positive daran ist: Ohne modernere Flugzeuge wäre der Verbrauch doppelt so hoch.“ Auch die Lufthansa räumt ein, daß sie 1995 etwa 6,6 Prozent mehr Kerosin verbraucht hat als noch im Jahr zuvor – trotz aller Effizienzsteigerung. Wenn es so weitergeht, könnte der Flugverkehr im Jahr 2005 für mehr als die Hälfte der CO2-Emissionen verantwortlich sein, die die Bundesregierung nach ihrem Versprechen von Rio dann noch zulassen will.

Doch die Bundesregierung setzt ungebrochen auf Expansion. „Globales Denken ist auch die Grundhaltung der Bundesbürger bei der Urlaubsplanung. Der Luftverkehr wird jährlich mit sechs bis sieben Prozent wachsen“, frohlockt Forschungsminister Jürgen Rüttgers – um dann pflichtschuldig anzuhängen, daß der zunehmende Luftverkehr nicht zu steigender Umweltbelastung führen dürfe. Um das zumindestens auf dem Papier zu erreichen, fährt Rüttgers zwei Strategien: Er propagiert den technischen Fortschritt und redet das Umweltproblem klein.

Das „Zweiliterflugzeug“ sei mit dem modernen Airbus fast verwirklicht, behauptet er. Ein voll ausgelasteter Jet brauche nur 2,4 Liter Kerosin. „Bei solcher Rechenweise haben wir schon seit Jahrzehnten das Dreiliterauto. Schließlich hat ein Auto meistens fünf Sitzplätze“, kontert Schallaböck.

Zum zweiten beruft sich Rüttgers auf neue Messungen, die scheinbar die geringe Belastung des Flugverkehrs für die Umwelt belegen. „Kohlendioxid durch Flugverkehr ist ein Zwei-Prozent- Problem fürs Klima“, bestätigt Ulrich Schumann, der bei der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Studien für Rüttgers koordiniert. Immerhin soviel Kohlendioxid, wie alle InderInnen zusammen in einem Jahr produzieren.

Die Reiserei durch die Luft belastet das Klima auch noch auf andere Weise. Die Stickoxide aus den Düsen führen in der Troposphäre, also der unteren Atmosphärenschicht, zur Ozonbildung. Auf den Hauptfluglinien über dem Atlantik ist das Treibhausgas inzwischen in fünf bis zehn Kilometer Höhe nachweisbar. Ozonmoleküle sind jedoch wesentlich kurzlebiger als Kohlendioxidmoleküle, die 100 bis 150 Jahre in der Atmosphäre verweilen. Der Beitrag des Ozons zum Treibhauseffekt ist daher bisher nicht auszurechnen. „Der Effekt beträgt höchstens zehn Prozent von dem, was CO2 anrichtet“, schätzt Christoph Brühl vom Max- Planck-Institut für Chemie. Für Rüttgers steht dagegen fest, „daß der zivile Luftverkehr nach den heute verfügbaren Daten keine nennenswerten Auswirkungen auf Klima und Ozonverteilung hat“.

Auch für den von Flugzeugen ausgestoßenen Wasserdampf, der in der besonders kalten Luftschicht in etwa zwölf Kilometer Höhe zur Wolkenbildung führt, gibt Rüttgers Entwarnung: „Klimamodellrechnungen erlauben den Schluß, daß selbst die 100fache Menge des heute vom Luftverkehr verursachten Wasserdampfs das Klima nicht nachweisbar beeinflußt.“ Die PR- Strategen von der Lufthansa erklären sogar eine 1.000fach höhere Wasserdampfmenge für irrelevant. Brühl ist sich da nicht so sicher: „Wie stark der Effekt ist, ist noch unklar.“ Zudem sei er lokal begrenzt. Aber besonders betroffene Gebiete seien nachts wärmer als früher.

Umstritten ist ebenfalls die Bedeutung des Luftverkehrs für das Ozon in der Stratosphäre. In 18 bis 25 Kilometern Höhe bildet es einen Schutzschild gegen die gefährlichen UV-Strahlen. Fest steht, daß das dort fliegende Überschallflugzeug Concorde (siehe Kasten) durch seine Abgase die Ozonschicht weiter zerstört, indem es die fatale Wirkung des Chlors aus der FCKW-Produktion auf der Erde verstärkt.

Ob auch die Emissionen der niedriger verkehrenden Jets so hoch steigen, ist unklar. Forschungsminister Rüttgers sagt dazu: „Die bisherigen Untersuchungen geben keine Hinweise auf einen nachweisbaren Ozonabbau durch den Luftverkehr.“ Im Zweifel für den Flugverkehr.

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