Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

... heißt nicht immer so. Bevor er im letzten Jahrhundert in seiner einzigartigen Gestalt erfunden wurde, war er zunächst ein „Sodomiter“ und mußte sich den schlechten Ruf, der sich damit verband, mit anderen teilen, die sexuell ganz was anderes wollten. Aber kaum war er dann 1869 von dem Ungarn Kertbeny als „Homosexualer“ festgeschrieben, nahm der Erfindungsreichtum der Schwulen seinen Lauf. Jede Epoche mühte sich, eine neue Begrifflichkeit durchzusetzen: gegen die Schimpfworte der anderen und für ein selbstbestimmtes Schicksal.

Der Urvater der Bewegung, Magnus Hirschfeld, sprach zur Jahrhundertwende vom „Urning“ – von Ulrichs schon 1864 ins Rennen geschickt – und vom „dritten Geschlecht“. Dazu gesellten sich der „invertierte“, der „homoerotische“, der „homogene“, der „homotrope“ und der „homophile“ Mann. Zwischendurch versuchte es noch der „Sokratiker“ und der „Andere“, die „mannmännliche Liebe“ und die „Kameradenliebe“ und noch ein paar blumige Ausrutscher mehr. Mit all diesem Durcheinander wollte ein Kampfgenosse Hirschfelds, Kurt Hiller, 1946 aufräumen und einen Neuanfang setzen, „androtrop“ lautete sein Vorschlag. Schließlich sei der Begriff „frei von Süßlichkeit und frei von Pathos“, sei „sachlich, ruhig, affekt-unbesetzt“ und tue niemandem weh. Damit konnte er keinen überzeugen, die Suche ging weiter. Der amerikanische Graphologe Alfred Mendel brachte den „euonymen Mann“ ins Spiel, aufgefächert in fünf verschiedene Typen.

Dagegen setzte ein Schwulenaktivist der frühen fünfziger Jahre, Erwin Haarmann, die „Pioniere“ und „Hörigen“. Der „Pionier“ war der Macher, dem der „weiche, feminine“ Hörige gegenüberstand, und dazwischen tummelte sich – so Haarmann – der „Zwischenstufen- Typ“, der „leicht zu Intrigen, zur Eitelkeit“ neige, dabei aber zuverlässig sei „bis zu einem gewissen Grade“. Das wiederum war der Schwulenzeitschrift Der Weg viel zu kompliziert; deshalb bestimmten ihre Schreiber 1959 als neue Sprachregelung „gleichgekehrt veranlagt“, dem Gegensatz zum „ergänzungsgekehrt Veranlagten“, dem Heterosexuellen.

Endlich Ruhe in die Sache brachte die neue deutsche Schwulenbewegung zu Beginn der siebziger Jahre. Da waren nur „Pioniere“ dabei, die den Spieß umkehrten und sich aus dem reichen Sprachschatz der Homofeinde bedienten. „Schwul“ sollte es sein, „so häßlich, abstoßend, unsympathisch wie das“, schrieb der Schriftsteller Felix Rexhausen, „wofür die Leute eben dieses Eigenschaftswort genau passend schmählich finden.“ Und sein Ratschlag wurde befolgt für zwei Jahrzehnte: „Seid nicht verschreckt, verwürgt, niedergedrückt: Solche, die in geschlossenen Kreisen schwul sind und von der übrigen Gesellschaft ,Homophile‘ genannt sein wollen, sondern seid aufrecht und gerade, stolz und selbstbewußt die, die ihr, jeder in seiner Individualität, wirklich seid – nämlich so und so und so und außerdem schwul: Seid stolze Schwule!“ Unter so viel Emphase ist das kleine Wörtchen derweil stumpf geworden und hat jede Attacke verloren. So wird weitergesucht, von „gay“ zur „gleichgeschlechtlichen Lebensweise“ nach „queer“. Und noch ist kein Ende abzusehen, solange der Zwang besteht, anders zu sein als die anderen.