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Wasser marsch, Atom bleibt

■ Hamburg bezieht Wasserkraftstrom aus Norwegen / Knatsch um Atomausstieg wird erstmal wegformuliert Von Marco Carini

Keiner mag es zugeben, doch die Zeichen stehen auf Sturm. Selbst in der Umweltbehörde ist hinter verschlossenen Türen von einem schwerwiegenden „Dissenz“ zwischen dem Vorstandschef der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW), Manfred Timm, und dem HEW-Aufsichtsratsvorsitzenden, Umweltsenator Fritz Vahrenholt, die Rede. Stein des Anstoßes: Die Atompolitik des Energiekonzerns in Verbindung mit dem jetzt abgeschlossenen Vertrag über die Lieferung von norwegischem Wasserkraft-Strom für die Hansestadt.

Gestern gaben die HEW bekannt, daß nach jahrelangem Verhandlungsmarathon ein „Vertrag über gegenseitige Stromlieferungen“ mit dem Norwegischen Firmenkonsortium „EuroKraft“ zustande gekommen“ sei. Danach sollen die HEW nachts und am Wochenende, wenn die Hamburger Stromabnahme in den Keller sinkt, Energieüberschüsse nach Norwegen liefern. Im Gegenzug erhalten sie norwegischen Wasserkraftstrom zu „Spitzenlastzeiten“: werktags zwischen 6 und 22 Uhr.

Doch es wird nicht nur getauscht: Zwar sollen 1500 Millionen Kilowattstunden (kwh) pro Jahr zwischen Norwegen und Hamburg hin- und herbewegt werden, weitere 500 Millionen kwh Wasserstrom gibt es für den Hamburger Stromversorger aber obendrauf. Der „Wechsel-Strom“ soll ab 2003 fließen, da erst noch ein 550 Kilometer langes Stromkabel durch die Nordsee verlegt werden muß. Kosten der langen Leitung: rund eine Milliarde Mark. Vorher allerdings muß die norwegische Regierung, die 1993 einen ähnlichen Vertrag blockierte, dem ausgehandelten Strom-Deal noch zustimmen.

Was der Norwegen-Deal für die Atompolitik der HEW bedeutet, darüber herrscht in den Reihen des Energieversorgers Uneinigkeit. Nicht nur HEW-Vorstandssprecher Manfred Timm wird nicht müde zu verlautbaren, allein durch den Norwegen-Strom könne kein einziges AKW abgeschaltet werden. Auch HEW-Sprecher Schulte betont: „Es lassen sich aus dem Vertrag keinerlei Rückschlüsse darauf ziehen, welche Kraftwerkskapazitäten wir dafür abbauen.“ HEW-Aufsichtsratschef Fritz Vahrenholt hatte den Norwegen-Vertrag jedoch bislang stets an die Abschaltung des Atommeilers Brunsbüttel gekoppelt.

So erklärte er im Herbst 1993 der taz: „Ich sage ganz klar: Es ist mit der geänderten HEW-Satzung unvereinbar, daß wir Hunderte Megawatt Strom aus Norwegen beziehen und gleichzeitig alle Kernkraftwerke weiterbetreiben. Bis 2005 geht Brunsbüttel vom Netz.“

Gestern allerdings verunklarte Vahrenholt seine Ausstiegs-Position durch widersprüchliche Verbal–akrobatik. Zwar fordere die Satzung nun eigentlich zwingend den Ausstieg aus einem Kernkraftwerk, aber andererseits wäre ein bißchen weniger Kohlestrom ja auch nicht schlecht. Vahrenholt: „Das muß nicht heute entschieden werden.“

Mögliche Interpretation der Weichspülerverlautbarung: Vahrenholt will weder die Atomliebhaber innerhalb der HEW noch die Brunsbüttel-Mitbetreiberin PreussenElektra reizen, Front gegen einen Ausstieg aus Brunsbüttel zu machen. Doch Vahrenholts verbales Nullsummenspiel könnte auch als endgültiger Ausstieg aus dem mittelfristigen Ausstieg aus Brunsbüttel gewertet werden.

Kritik am Norwegen-Vertrag üben die Hamburger Grünen: Statt für ökologisch bedenkliche Transportkabel mehr als eine Milliarde Mark zu verpulvern sollten die HEW das Geld lieber nutzen, um in Hamburg „eine dezentrale Energiestruktur auf der Basis von Blockheizkraftwerken und Solarenergie zu installieren“. Da aufgrund des Vertrages „überschüssiger Nachtstrom aus Atomkraftwerken nach Norwegen“ abgesetzt würde, widerspräche der Vertrag zudem dem in der HEW-Satzung verankerten Atomausstiegs-Gebot.

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