Berlin als Brennpunkt des Neuen

■ Beim Festakt im Abgeordnetenhaus zum 50. Jahrestag des ersten Berliner Nachkriegsparlaments drehte sich alles um das demokratische Selbstverständnis der Stadt. Der Aufbruch in die Berliner Republik wurde be

Dankbar – fast erleichtert – klatschten die Gäste beim Festakt des Abgeordnetenhauses gestern nach den Schlußworten Jutta Limbachs in die Hände: „Auf in die Berliner Republik!“ hatte die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und frühere Justizsenatorin den Vertretern der Alliierten und ehemaligen wie heutigen politisch Verantwortlichen entgegengerufen.

Die Letzte in der Reihe der RednerInnen zum 50. Jahrestag der Konstituierung des ersten Berliner Nachkriegsparlaments hatte das Gedenken an die Vergangenheit mit Warnungen vor möglichen undemokratischen Entwicklungen in der Zukunft verbunden. Nach den versteckten Spitzen gegen Berliner Selbstzweifel und einer eindringlichen Warnung vor den Gefahren der ungezügelten kapitalistischen Entwicklung reihte Limbach sich aber mit dem Ende ihrer unbequemen Rede wieder in die Würdigung des demokratischen Neuanfangs Berlins vor 50 Jahren ein.

Auf den Tag genau, gestern vor 50 Jahren war am Dienstag, den 26. November 1946, das erste Nachkriegsparlament Großberlins zusammengetreten. Die frisch gewählten Stadtverordneten hatten sich im Neuen Stadthaus in der Parochialstraße versammelt und konnten sogar auf einer großen demokratischen Legitimation aufbauen: 92,3 Prozent der Wahlberechtigten waren an die Urnen gegangen.

Unter Aufsicht der alliierten Siegermächte und schon während der politischen Kämpfe zwischen den Großmächten um die Vorherrschaft im besiegten Deutschland, hatten die BerlinerInnen am 20. Oktober 1946 die 130 Stadtverordneten gewählt. Für die SPD hatten 48,7 Prozent, für die CDU nur 22,2 Prozent gestimmt. Der Vorgänger der FDP, die LDP, saß mit 9,3 Prozent im Parlament. An der Wahl hatte sich auch noch die SED beteiligt, sie war von 19,8 Prozent der WählerInnen unterstützt worden.

Zwei Jahre später war es mit dem demokratischen Neuanfang eines vereinten Berlin aber auch schon wieder vorbei. Am 30. November 1948 berief die SED eine eigene Stadtverordnetenversammlung ein und beendete damit die gemeinsame politische Entwicklung Berlins: der sogenannte Stadthaus-Putsch.

Im November 1946 glaubten die ParlamentarierInnen noch an die Gemeinsamkeiten. „Berlin muß wieder Mittelpunkt Deutschlands und darüber hinaus werden. Wir wollen nicht nur gute Deutsche, sondern auch gute Europäer sein“, hatte der Sozialdemokrat Adolf Wuschik den Delegierten schon damals zugerufen. Die Rede des Alterspräsidenten Wuschik, die die Stadtverordnetenversammlung eröffnet hatte, krächzte gestern im Preußischen Landtag vom Tonband: „Wer die Berliner mit ihrem nie versagenden Optimismus, ihrem Humor und ihrer Energie kennt, der weiß, daß sie auch diese ungeheuer schwere Arbeit meistern werden.“

Die Chance, die Wuschik 1946 beschwor, versuchten gestern nicht nur Jutta Limbach, sondern auch Parlamentspräsident Herwig Haase (CDU) und die damalige Stadtverordnete Ella Barowsky, heute Ehrenvorsitzende der FDP, wiederauferstehen zu lassen. „Berlin war immer der Brennpunkt des Neuen, Stadt der politischen Zuspitzung und der Kritik“, beschrieb Haase den Charakter der Stadt, und mahnte, aus der Geschichte „Schlußfolgerungen zu ziehen für die aktuellen Herausforderungen“.

Ella Barowsky, Mitglied des ersten Parlaments, sagte am Rande des Festakts: „Damals, 1946 waren sehr viele Menschen im Parlament, die ihre politischen Erfahrungen noch in der Weimarer Republik gemacht haben.“ Die 84jährige Stadtälteste, die noch immer etwas von der politischen Ernsthaftigkeit der Nachkriegspolitik ausstrahlt, hat ihre Zweifel an der Spannkraft der heutigen PolitikerInnengeneration. „Den Parlamentariern von heute fehlt die politische Faszination.“

Als 34jährige war Barowsky am 20. Oktober 1946 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt worden, sie hielt gestern eine Rede, in der sie die ParlamentarierInnen wie die Bevölkerung mahnte, einen Weg zur Hauptstadt „ohne den hybriden Nationalismus“ zu suchen. Barbara Junge