: Mehr als ein Fußballmatch
Das stets auch politisch brisante Aufeinandertreffen der Fußballclubs Real Madrid und FC Barcelona ist diesmal zudem ein echtes Spitzenspiel ■ Von Joachim Quandt
Juan Manuel Brito Arceo gab seiner Unkenntnis in Sachen Informatik vollkommen unbeschwert Ausdruck: „Ich werde den Computer auf den Arsch küssen.“ Der Rechner hatte seinen Namen als Unparteiischen für das Spiel Real Madrid gegen FC Barcelona heute abend im Bernabeu-Stadion in Madrid festgesetzt. Brito Arceo darf 90 Minuten lang zwischen Ronaldo, Giovanni, Suker, Seedorf und einer Handvoll der teuersten Fußballspieler der Welt herumlaufen. Eine zweifelhafte Ehre, denn er läuft Gefahr, daß sein Name bei mindestens einer der beiden Fangruppen zum Schimpfwort avanciert. Wie der eines seiner Vorgänger, Guruceta, dessen Fehlentscheidungen in einem Pokalspiel zwischen den beiden Großen des spanischen Fußballs 1970 in Barcelona zum Spielabbruch führte. Noch Jahre später wurden mißliebige Schiedsrichter in Barcelona „Guruceta“ geschimpft.
Die Spiele zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona liefern stets neuen Stoff für die Geschichte einer langen Haßliebe. Das Spiel beinhaltet mehr als das Duell zwischen dem Tabellenführer aus der Hauptstadt und dem Zweiten, es bedeutet nicht nur das Aufeinandertreffen der Stürmerstars Davor Suker und Ronaldo. Die Begegnung ist mit einem Mythos behaftet, der auch den Machthabern in Spanien nie entgangen ist: Als die Franquisten nach dem Tod des Diktators im Jahr 1976 um ihr politisches Überleben kämpften, verschoben sie das Spiel aus Angst vor den Kundgebungen der noch verbotenen, aber schon sehr starken Gewerkschaften auf den 1. Mai und ordneten die Live-Übertragung an, um die Leute nicht mit der Polizei von der Straße fegen zu müssen.
„Mes que un club“ – Mehr als ein Club. Der katalanische Leitsatz des FC Barcelona gilt, ohne daß er ausdrücklich formuliert wird, auch für das Team aus der Hauptstadt. Während die Ehrentribüne des Bernabeu-Stadions stets eine Börse für politische Einflüsse bei den jeweiligen Machthabern war, ist Barça mit den Autonomiebestrebungen des katalanischen Bürgertums und mit dessen Geld groß geworden. Während der König den Club aus Madrid mit dem Attribut „Real“ – „Königlich“ – belegte, wehte über den Demonstrationen gegen die Diktatur Primo de Riveras in den zwanziger Jahren in Barcelona die blau-rote Flagge des Clubs als Ersatz für die verbotene „Senyera“, die Fahne Kataloniens. In den sechziger Jahren war das Nou-Camp-Stadion der Ort, wo zuerst wieder die von Franco erneut verbotene Senyera und die katalanische Sprache Öffentlichkeit bekamen.
Die legendäre Mannschaft Madrids, die zwischen 1956 und 1960 ununterbrochen den Europapokal der Landesmeister gewann, bis ausgerechnet Barça das Kunststück gelang, den Seriensieger nach vier Jahren erstmals aus dem Wettbewerb zu werfen, galt immer als Lieblingskind Francos. Die Siege der Mannschaft um den Argentinier Alfredo di Stefano beschleunigten im Ausland die Anerkennung des Regimes und halfen im Inneren, über Hunger und politische Repression hinwegzutäuschen. Als beim Bau des Bernabeu-Stadions der Beton knapp war, wurde fehlendes Baumaterial aus dem Valle de los Caídos herangeschafft, wo der Diktator den Gefallenen des Bürgerkrieges und sich selbst ein monumentales Denkmal setzte. Überbleibsel dieser Vergangenheit sind die Nazi- und Falangefahnen der „Ultrasur“-Fans auf der Südtribüne des Bernabeu-Stadions.
In diesem Jahr sind es vor allem die Superstars, die beide Teams zu Beginn der Saison unter Vertrag genommen haben, die den Platz vor dem Bernabeu seit Tagen in einen wilden Campingplatz verwandelt haben. Die Clubs könnten das 100.000 Personen fassende Stadion problemlos viermal füllen. 115 Millionen DM – mehr als alle 18 Bundesligavereine zusammen – haben beide Clubs zusammen zu Beginn der Saison für Neuverpflichtungen ausgegeben. Damit soll ein Jahr vergessen gemacht werden, das für beide keinen Titel gebracht hat. Der Kaufrausch war durch die Neuverhandlung der Fernsehrechte möglich geworden. Nach dem Geldregen war keine Verpflichtung zu teuer, und das, obwohl auf dem Club aus Madrid der astronomische Schuldenberg von 145 Millionen DM lastet.
Star des Teams ist Davor Suker. Der kroatische Nationalist mit dem unglaublichen Torinstinkt läßt sich von seinem Präsidenten Tudjman schon mal für Propagandazwecke einspannen und erklärt den Sturmkollegen Mijatovic aus Montenegro gleichzeitig zu seinem besten Freund.
Während Madrid darauf setzt, daß Trainer Fabio Capello seine Erfolge mit der für ihn typischen Mischung aus Arbeit, Disziplin, Langeweile und Effektivität, die ihn beim AC Mailand triumphieren ließ, in Spanien wiederholt, baut Barça vor allem auf das Genie der Einzelspieler. Die Mannschaft stünde wohl auch auf dem zweiten Tabellenplatz, wenn statt Bobby Robson Ronaldos Großmutter auf der Trainerbank Platz nehmen würde. Der Brasilianer Ronaldo verfügt über eine einmalige Quote: In 95 Prozent seiner Spiele hat er bisher ein Tor geschossen. Der FC holte ihn für 27 Millionen Mark aus Eindhoven. 50 Millionen müßte ein Verein auf den Tisch legen, um den 20jährigen aus seinem Achtjahresvertrag loszukaufen. Zu Saisonbeginn schien das unmöglich, doch inzwischen gibt es angeblich vier Vereine, die bereit wären, ihn zum teuersten Spieler aller Zeiten zu machen. Nur Victor Baia verdient auf dem Torhüterposten, von dem Andreas Köpke einen kurzen Sommer lang träumte, bisher noch mehr als der Brasilianer mit den Hasenzähnen.
Auf der Gegenseite wird Bodo Illgner das Tor hüten, wenn er bis dahin von der Magen-Darm- Grippe, die ihn diese Woche quälte, genesen ist. Vielleicht ist nicht ein Virus, sondern der Barça- Sturm an seinem Durchfall schuld. Ronaldo, Giovanni und Co. haben in 15 Meisterschaftsspielen 46 Tore erzielt. Die Führung des Clubs hat daraufhin vorsichtshalber eine Versicherung abgeschlossen. Für den Fall, daß das Team Meisterschaft, Pokal und Pokalsiegerwettbewerb gewinnt, zahlt diese 50 Prozent der fälligen Prämien.
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