: Argumente gehen ins Leere
■ betr.: „Blockaden gehen ins Leere“, taz vom 5.12. 96
Der Artikel von Michael Sailer in Focus hat mich seinerzeit schon empört. Daß er aber – zwar etwas modifiziert – auch in der taz seine Meinung kundtut, daß unsere Proteste zwar legitim seien, aber wenig geeignet, etwa das Ende der Atomindustrie zu erzwingen, ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die seit vielen Jahren Kraft, Nerven und Geld investieren, um dieser unseligen Atomindustrie die Flügel zu kappen. Michael Sailer hat anscheinend den Kontakt zur Basis verloren und die Nähe der Industrie erreicht. [...]
„Es muß eine neue Entsorgungsdebatte geben.“ Hat man uns gefragt, bevor die Anlagen gebaut wurden? Hat man auch nur auf eine verzichtet aufgrund unserer Argumente? Vielleicht machen wir noch das Bett zurecht, damit sich die Betreiber ausschlafen können ... Marianne Fritzen, Lüchow
Lieber Michael S., Du bist doch sonst ein ganz vernünftiger Junge. Jeder hat mal einen schlechten Tag. Aber dann gib doch bitte der taz nicht so ein bescheuertes Interview über den (sinnlosen) Gorleben-Widerstand und die Zwischenlagerung auf dem Gelände der AKW.
Wenn Du depri bist, komm zu uns nach Brokdorf: Am 9.12. geht ein Transport mit abgebrannten Brennelementen nach La Hague, und am 16.12. geht einer nach Sellafield. Damit wäre dem Ausstieg mehr gedient, als die Gorleben- Blockaden einen Trugschluß zu nennen.
Mit Deiner Hilfe könnten wir mehr Menschen in Brokdorf davon überzeugen, daß die An- und Abtransporte von und zu allen Atomanlagen im Land demonstrativ „begleitet“ werden müssen. Karsten Hinrichsen,
Brokdorf-Kläger
Im Widerspruch zu Michael Sailer vom Öko-Institut halte ich die Position, daß die sofortige Stillegung aller Atomanlagen am Anfang einer wie auch immer gearteten „Entsorgungsdebatte“ stehen muß, nach wie vor für richtig. Es ist fatal, wenn die Anti-AKW-Bewegung, vertreten durch das Öko-Institut oder wen auch immer, scheinbar „konstruktiv“ an der Lösung des Entsorgungsproblems mitarbeitet, bevor nicht alle AKW vom Netz sind. Ein besseres Argument für den Weiterbetrieb der AKW als ein Endlager mit Gütesiegel der Anti-AKW-Bewegung kann der Atommafia von allein niemals einfallen.
Grundlage der politischen Arbeit der Anti-AKW-Bewegung war, ist und muß die Forderung nach sofortiger Stillegung aller Atomanlagen sein. Diese Forderung ist nicht konstruktiv, sie ist nicht pragmatisch, sie ist fundamental. Und sie findet ihren Ausdruck in praktischen Aktionen, wie dem vielfältigen Widerstand gegen die Castor-Transporte nach Gorleben.
Herr Sailer ist pragmatisch und will konstruktiv sein, er sieht den riesengroßen Berg Atommüll, der täglich wächst, und denkt sich, irgendwo muß das Zeug doch hin. Wenn er behauptet, es sei ein „Trugschluß, zu glauben, (...) durch eine Blockade einer Bahnstrecke bei Gorleben die Atomindustrie zu behindern“, dann hat er praktisch vielleicht recht, politisch jedoch mit Sicherheit nicht.
Und genau darum geht's: Die Auseinandersetzung um das Atomprogramm und weitergehend der Widerstand gegen den Atomstaat BRD ist in erster Linie politisch. Die Castor-Transporte nach Gorleben sind ein/das Symbol für diese Auseinandersetzung. Hier wird das politische Klima geschaffen, um die gesamte Atomindustrie in Frage zu stellen, natürlich auch die PU-Produktion in den „Wiederaufarbeitungsanlagen“ und die damit verbundenen Transporte. Aber es ist blanker Unsinn im Stil von Frau Merkel und anderen, wenn Herr Sailer behauptet, die Castor-Transporte zu den WAA würden „ungehindert und undiskutiert (...) rollen“. Seit Jahren versuchen Anti-AKW-AktivistInnen immer wieder, durch verschiedenste Aktionen diese Transporte zu ver-/behindern.
Michael Sailer verkennt die oben dargestellte politische Dimension der Auseinandersetzung um den „Gorleben-Castor“ und spielt damit, vermutlich ungewollt, der „Gegenseite“ in die Hände, die den Widerstand brechen will. Am schlimmsten in diesem Zusammenhang finde ich die Mär von den armen EVUs, denen ja quasi gar nichts anderes übrig bleibt, als zu den WAAs zu liefern, ihnen bleibt sehr wohl etwas übrig: Abschalten! Und die Verantwortung dafür, daß sie es nicht tun, liegt allein bei den Energiekonzernen.
Daß die taz hier nicht in der Lage ist, kritischer zu fragen oder Position zu beziehen, ist enttäuschend. Holger Müller, Lüneburger
Initiative gegen Atomanlagen
[...] Zu einem Zeitpunkt, da der Anti-Atom-Protest im Zusammenhang mit den Castor-Transporten ins Zwischenlager Gorlebenm an Stärke gewinnt und immer mehr UnterstützerInnen findet, die Kriminalisierungsversuche gegen AtomkraftgegnerInnen weiter Gestalt annehmen, mit dem Ziel, den Atomwiderstand zu schwächen und in Verruf zu bringen, zu einer Zeit also, da Bonn zur dritten Konsensrunde geladen hat und der Atom- und Polizeistaat in voller Blüte steht, macht sich ausgerechnet Michael Sailer wiederholt zum Fürsprecher der Atomindustrie und zum Sprachrohr von Bundesatomministerin Angela Merkel.
[...] Die Halbwertzeit des Gedächtnisses Michael Sailers steht im umgekehrten Verhältnis zu der von Plutonium, denn sonst hätte er sich daran erinnert, daß der erbittert geführte aktive und juristische Widerstand gegen die Plutoniumfabrik in Wackersdorf, mit dem längsten Erörterungstermin der Geschichte der Atomkraftnutzung, ihn und das Öko-Institut erst bekannt gemacht hat. Mit Unterstützung der Anti-Atom-Bewegung im In- und Ausland und seiner Arbeit als Sachbeistand wurde die WAA im Taxöldener Forst 1989 gemeinsam zu Fall gebracht. Damals war allen klar, daß – ohne den Sofortausstieg – deutscher Atommüll weiter nach Sellafield, La Hague und Dounreay rollen würde. Dennoch hielten wir den langjährigen Widerstand für richtig.
Das Aus der WAA ließ die ausländische Plutoniumwirtschaft boomen. Unter Beteiligung der deutschen Atomindustrie wurde die „usine plutonium“ in La Hague um eine Linie erweitert. In England wurde mit dem Bau der neuen THORP-Anlage begonnen, und Japan baute seine Wiederaufarbeitung in Rokkasho-mura. Wenn Sailer nun – sechs Jahre nach dem Aus der WAA in Wackersdorf – seinen mahnenden Zeigefinger erhebt, offenbart er seine wirklichen Beweggründe.
[...] Auf den Vorwurf, die Blockaden der Bahnstrecke in Gorleben lenkten die Atommülltransporte nach La Hague und Sellafield und heizten den Plutoniumkreislauf an, kann ich nur antworten, der erfolgreiche Widerstand gegen die WAA hat das auch getan, und Sailer hat mitgeholfen. Das Leerfahren der MOX-Fabrik in Hanau tut das auch, und Sailer hat das gutgeheißen. Da fällt mir nur noch der Spruch ein: Wes Brot ich ess', des Lied ich sing!
Der plötzliche Ruf nach einer Entsorgungsdebatte innerhalb der Anti-Atom-Bewegung, der Vorschlag, Castor-Behälter noch sicherer zu machen und neue Zwischenlager an AKW-Standorten zu bauen, dient letztendlich dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke und der Atomabteilung des Öko-Instituts. Den Ausstieg aus der Atompolitik erreichen wir damit nie. Wenn überhaupt, hätte Sailer die Entsorgungsdebatte 1994 einfordern müssen, als das geänderte Atomgesetz sowohl die Wiederaufarbeitung im Ausland als auch die direkte Endlagerung mit vorausgeschalteter 40jähriger Abklingzeit des hochradioaktiven Mülls in den Zwischenlagern als Entsorgungsvorsorgenachweis ermöglichte.
Wendehals Sailer hat offenbar eines vergessen. Die Anti-Atom- Bewegung fordert nicht nur den Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft, sondern den sofortigen Stopp der Atommüllproduktion. Und das gelingt nur, wenn wir die Atomanlagen sofort dicht machen. Atommülltransporte rollen eben nur dann nach La Hague, Sellafield und Dounreay, wenn die Atom- Monster weiterlaufen. Deshalb stellen wir uns am „Tag NiX“ x-tausendmal quer. Ob mit dem Aufruf: „Wackersdorf ist überall“ oder „Gorleben soll leben“, immer ging und geht es um den Sofortausstieg. Dieses Wort nimmt Sailer bezeichnenderweise nicht mehr in den Mund. Statt dessen müßten Endlagerstandorte her, meint er, geologische Untersuchungen sollten jetzt in den Mittelpunkt rücken. Mit dieser Strategie hat sich Sailer selbst ins Abseits gestellt, und es ist höchste Zeit für die Mitarbeiterinnen in Darmstadt und Freiburg, Farbe zu bekennen und sich vor dem „Irrläufer“ Sailer in Sicherheit zu bringen. Denn die Parole der bundesweiten Anti- Atom-Bewegung stimmt heute mehr denn je: Erst wenn der Atomausstieg beschlossene Sache ist, wird es in Deutschland eine Lösung der Entsorgungsfrage geben. Irene Maria Sturm, MdL, Vorsitzende des Dachverbands der Oberpfälzer BIs gegen die Errichtung von Atomanlagen e.V.
Michael Sailer ist der Atomlobby auf den Leim gegangen! Jahrelang zog er durch die Lande und verbreitete seine Kunde vom Schrecken der Radioaktivität. Jetzt will er davon nichts mehr wissen und hat Tschernobyl, Windscale, Harrisburg, Krümmel und und und anscheinend vergessen. Hat ihn die Atommafia gekauft? Oder hat er Angst, daß sein Institut keine Aufträge mehr bekommt?
Diesen Eindruck bekommt man, wenn man sein Interview liest. Wer, wie er, die End- und Zwischenlagerung von Atommüll fordert, betreibt das Geschäft der Atomlobby wider besseres Wissen. Erst wenn die tägliche Atommüllproduktion beendet ist, kann und darf darüber nachgedacht werden, wie mit der Nachbarschaft der menschenverachtenden, umweltzerstörenden und den Rechtsstaat gefährdenden Art der Energieversorgung weiter umgegangen werden kann. Alles andere wäre den Befürwortern dieser Art der Energieversorgung nach dem Munde reden und die Risiken verharmlosen. Wir jedenfalls werden nicht das Lied der Atomlobby singen und uns am „Tag Nix3“ x-tausendmal querstellen und Michael Sailer der – offenbar besser bezahlenden – Atommafia überlassen. Uli Wenisch,
1. Vorsitzender der Amberger
Bürgerinitiative für eine Zu-
kunft ohne Atomkraft e.V.
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