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Der Mann mit der Mundharmonika

■ "Mister Harmonika himself" zu Gast in Berlin: der 82jährige Larry Adler gibt zwei Konzerte im Jüdischen Gemeindehaus

Er hat sie alle gekannt. George Gershwin und Charlie Chaplin, Judy Garland und Fred Astaire, Django Reinhardt und Duke Ellington. Larry Adler ist einer der letzten Überlebenden einer Ära populärer Musik, die man nur noch aus den Geschichtsbüchern kennt. Und in Sachen Mundharmonika ist er eine Institution. Kein anderer Musiker wird so stark mit dem Instrument identifiziert wie „Mr. Harmonika himself“. Elton John steht mit seiner Meinung nicht allein, wenn er sagt: „Für mich ist Larry Adler der beste Mundharmonikaspieler und ist es immer gewesen.“

Spuren seiner bewegten Biographie finden sich überall in seinem Londoner Appartement. Hier stapeln sich die Erinnerungen. Fotos, Zeitungsartikel, Briefe und Notizen türmen sich zu kniehohen Haufen, so daß man nur auf engen Pfaden die Wohnung durchqueren kann. Adler kramt ein paar vergilbte Fotos hervor, die ihn als Sproß einer jüdisch-russischen Einwandererfamilie zeigen, daheim in Baltimore im amerikanischen Bundesstaat Maryland. Als das Lokalblatt die Gründung eines Mundharmonikaorchesters ankündigte, ging er hin und ließ sich begeistern. Ein Instrument war schnell beschafft. „Ich fuhr immer mit der Straßenbahn zu den Probestunden“, erinnert er sich an seine Jugendzeit. „Da gab es eine Sitzbank mit drei Plätzen in der Nähe des Fahrers. Ich versuchte immer, diesen Platz zu bekommen, weil es mir gefiel, fast der Fahrer zu sein. Dann nahm ich die Mundharmonika heraus und begann zu üben, was den Effekt hatte, daß ich auf der ganzen Strecke die Bank für mich alleine hatte. Ich muß den Fahrer verrückt gemacht haben.“

Adler hatte ein exzellentes Gehör und konnte alles, was ihm zu Ohren kam, sofort nachspielen. Ohne seine Eltern zu fragen, machte er sich eines Tages auf nach New York. Er trieb sich am Bühneneingang des Paramount-Theaters am Broadway herum, um jedem, der dort ein und aus ging, ein paar Melodien ins Gesicht zu blasen, in der Hoffnung, entdeckt zu werden. Eines Tages schleppte ihn ein Musiker aufs Künstlersekretariat, und Larry bekam seinen ersten Vertrag. 100 Dollar die Woche – das war kein schlechter Start für einen 14jährigen. Bei einem Gastspiel in Hollywood wurde ein Talentsucher auf Adler aufmerksam und besorgte ihm seinen ersten Film-Job. In „Many Happy Returns“ mit Ray Milland bekam er seine erste Rolle – als Mundharmonikaspieler, versteht sich. Doch Adler wollte höher hinaus. Mehr und mehr machte sich der Mundharmonikaspieler einen Namen als Interpret klassischer Stücke. Bald schrieb die Presse von dem Teenager, der Ravels „Bolero“ auf der Mundharmonika spielt. 1934 kam er das erste Mal nach Europa. Nach Auftritten in den größten „Music-Halls“ in England, ging es zu Konzerten auf den Kontinent. 1941 war der Höhenflug vorerst zu Ende. Der Zweite Weltkrieg stoppte Adlers Karriere. Als politischer Mensch und Jude wollte er nicht abseits stehen und meldete sich zur Truppenbetreuung. Kurz nach Kriegsende kam er auch nach Deutschland, wo er in Berlin die „Battle Hymn of the Republic“ für die alliierten Soldaten vom Balkon von Hitlers Reichskanzlei spielte, während Ingrid Bergmann die „Gettysburg Address“ von Abraham Lincoln verlas. Sein Einsatz wurde ihm nicht gedankt. In der McCarthy- Ära wurde Adler ein Opfer der Kommunistenhatz. Zusammen mit Ira Gershwin, Billy Wilder und John Huston gründete er die Gegeninitiative der Künstler. Er fand sich „blacklisted“ und von Berufsverbot bedroht. Verträge wurden annulliert, Engagements abgesagt. „Es war die reinste Hysterie“, erinnert sich Adler. „Man forderte mich auf, öffentlich zu bekunden, daß ich kein Kommunist sei, was ich niemals tun würde. Das geht niemanden etwas an.“ Die einzige Möglichkeit, von der Schwarzen Liste zu kommen, war, andere zu denunzieren. „Es war eine ekelhafte Atmosphäre.“ Verbittert verließ er die USA und ließ sich in Großbritannien nieder. Ausgiebige Tourneen folgten, er trat in Japan und Korea auf, schrieb Filmmusiken, machte in Paris Aufnahmen mit Django Reinhardt und Stephane Grappelli und versuchte mit Erfolg, klassische Komponisten für die Mundharmonika zu interessieren. Darius Milhaud, Heitor Villa-Lobos und Ralph Vaughan-Williams schrieben eigens Stücke für ihn.

Dann wurde es allmählich stiller um Larry Adler. Erst 1992 riß ihn ein Anruf aus seinem Rentnerdasein. Sting war am Apparat, der Adler für eine Plattensession gewinnen wollte. Die Sache verlief positiv, woraufhin der Stein ins Rollen kam, der Adler mit achtzig Jahren noch einmal ins Scheinwerferlicht zurückbrachte. Von Peter Gabriel und Cher über Sinead O'Connor und Elton John bis zu Elvis Costello und Meat Loaf ließ es sich niemand nehmen, dem „Grand Old Man“ der populären Musik persönlich seine Reverenz zu erweisen. Produziert vom Beatles-Produzenten George Martin, wurde die Platte ein Riesenerfolg. Sie bescherte Larry Adler einen zweiten Platz in den englischen Charts und dazu einen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde, als ältester Musiker, der jemals in den Top-Ten war. Christoph Wagner

Konzert: 15., 16. Dezember 96, Jüdisches Gemeindehaus, Fasanenstr. 79–80

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