Taktisch handeln

■ Irene Dische seziert Theaterkritiker

Ist er es, oder ist er es nicht? Spiegelt sich in dem geschmeidig-skrupellosen Emporkömmling und Theaterkritiker Thomas Roseingrave der mächtige Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, wider? Rechnet die Deutsch-Amerikanerin Irene Dische in ihrem Theaterstück Das zweite Leben des Domenico Scarletti, das bei Rowohlt erschien, mit der Kritik der FAZ ab? Welche Person ist Marcel Reich-Ranicki? Andererseits: Ist das alles überhaupt wichtig?

Clever ist es allemal. Denn das Rätselraten in den Feuilletons der Republik, zumal wenn es gegen die Institution schlechthin und deren Repräsentanten geht, schlägt sich in verkaufsträchtigen Besprechungen nieder. Dabei hätte das nur 78 Seiten umfassende Stück auch ohne die offensichtlichen Querverweise durchaus genügend Eigenleben, um bestehen zu können. Gut ist heute eben nicht mehr gut genug. „Ehrgeiz ist wichtiger als Talent, na klar. Talent ohne Ehrgeiz ist wie ein Rennpferd ohne Jockey“, notiert der Protagonist und begeistert sich, wie so häufig, an den eigenen Formulierungen. Tief schneidet Irene Dische in das Fleisch des Thomas Roseingrave, auf daß ein wenig echtes Blut hervorquelle.

Doch dieser Citizen Kane des Feuilletons blutet nicht, er laboriert höchstens. Taktisch handeln, strategisch denken, eine unbarmherzige Kosten-Nutzen-Rechnung zwischenmenschlicher Kontakte, die den Weg zur Spitze ebnen soll. Wo es sich anbietet, ist das Messer schnell zur Hand, und es trifft immer in den Rücken. Da wird einer bis zur Kenntlichkeit demaskiert, der so nicht nur in der Redaktion der Zeitung für Deutschland sitzen könnte. Nach der Lektüre von Das zweite Leben des Domenico Scarletti weiß man mehr über das Gebaren des FAZ-Feuilletons und seiner Edelfedern. Aber ist das überhaupt wichtig?

Karsten Neumann

Lesung heute 23. März, Literaturhaus, 20 Uhr