: Stumm ziehen sie über die Brücke
Hunderttausende ruandische Hutu-Flüchtlinge verlassen ihre Lager in Tansania und kehren nach Ruanda zurück — mit tatkräftiger Nachhilfe der tansanischen Armee ■ Von der tansanisch-ruandischen Grenze Andrea König
Es dämmert über der Brücke von Rusumo, als die ersten Flüchtlinge sich der Grenze nähern. Sie schieben vollbepackte Fahrräder, den Rest des Hausrats tragen sie auf dem Kopf. Sie freuen sich nicht über die Rückkehr in ihre ruandische Heimat. Sie reden nicht. Die Babys weinen nicht. Über zwei Jahre lang haben ihnen ihre Führer in den ruandischen Flüchtlingslagern von Tansania erzählt, daß in Ruanda der Krieg weitergeht, daß Hutus getötet würden, daß sie ebenfalls massakriert werden würden wie davor die Tutsi. Nun gehen sie zurück. Furcht und Ergebenheit strahlen sie aus, die ersten Ruander, die Tansania wieder verlassen.
Hinter dem Schlagbaum auf ruandischer Seite wartet auf die Ankömmlinge ein Heer von Rotkreuzhelfern. Beinahe zärtlich heben sie die müden Kleinkinder hoch, deren Füße geschwollen sind vom langen Marsch. Sie schauen zu, daß die Kinder bei ihren Müttern bleiben. In den Lagern hatten Gerüchte die Runde gemacht, wonach hinter der Grenze Familien auseinandergerissen und die Männer und Jungen anschließend umgebracht würden. Die liebevolle und sanfte Präsenz der Helfer vom Roten Kreuz hilft, die Spannung etwas zu entschärfen.
Ein Megaphon dirigiert die Ankömmlinge. Sie sind in Ruanda, aber sie haben noch gut 20 Kilometer vor sich bis zur nächsten Tankstelle, wo die Lastwagen des UN- Flüchtlingshilfswerks UNHCR auf die Rückkehrer warten. Also marschieren sie weiter. Nur die schwächsten von ihnen werden in Wagen geladen.
Die Sonne geht unter, es wird Nacht, und stetig ziehen immer mehr Rückkehrer über die Grenze von Tansania nach Ruanda – ruhig und geordnet, nicht in den Massen wie vor einem Monat aus Zaire, als die ruandischen Flüchtlinge aus den Lagern um Goma heimkehrten. Der Leiter der Föderation der Rotkreuz-Gesellschaften im tansanischen Ngara, wo die Flüchtlingslager liegen, erklärt: „Die tansanische Regierung hat vor, ein Lager nach dem Lager zurückzuschicken. Es soll möglichst human geschehen, nicht in Massen. Heute sind rund 80.000 Menschen unterwegs.“
Eine Delegation der Armee von Tansania hat in Ruanda ausgehandelt, daß die Grenze auch nachts offenbleibt, damit diejenigen, die schon unterwegs sind, nicht noch einmal auf tansanischem Boden ihr Nachtlager aufschlagen. Tansania will die Flüchtlinge alle möglichst noch vor dem 31. Dezember los sein – dem Ultimatum, das die Regierung gesetzt hat.
Noch in der Nacht sollen die Neuankömmlinge in Ruanda in die Stadt Byumba gefahren werden. Die Rückkehrer kommen aus dem Lager Lumasi bei Ngara, und die meisten von ihnen stammen ursprünglich aus der Präfektur Byumba. Vor vier Tagen am späten Nachmittag waren die Eltern zusammen mit ihren Kindern aus dem Flüchtlingslager Lumasi ausgezogen. Sie wollten weg – irgendwohin, nur nicht zurück nach Ruanda. Ihr Auszug aus Lumasi war eine Reaktion auf den Aufbruch ihrer Landsleute im Lager von Kitale weiter südlich. Es folgte eine Kettenreaktion: Bis in die Nacht zum Freitag leerten sich sämtliche Lager, auch das größte von ihnen, Benaco. Hunderttausende von Lagerinsassen zogen über Feldwege in den Busch. Einige sagten, sie wollten nach Kenia oder Malawi viele hundert Kilometer weit weg. Die große Mehrheit folgte den ersten und wußte nicht, weshalb sie nun unterwegs war. Viele Flüchtlinge wirkten verwirrt und leisteten keinen Widerstand, als die tansanische Armee sie am nächsten Morgen stoppte und in die Lager zurückdrängte. Danach riegelten die Soldaten die Lager hermetisch ab. Nun hatte Tansania einen Vorwand, die Flüchtlinge mit Gewalt nach Ruanda abzuschieben.
Von den Hilfsorganisationen erhielten danach nur noch die verschiedenen Rotkreuz-Organisationen, die vor allem sanitäre und medizinische Versorgung übernehmen, Zugang zu den Lagern. Das UNHCR, für die anderen Belange der Flüchtlinge zuständig, mußte draußen bleiben. Aus einer humanitären Operation wurde eine militärische: Tansanias Armee hat die Organisation und die Rückführung der Flüchtlinge übernommen – das UNHCR schaut hilflos zu. Es muß hinnehmen, daß sein Mandat verletzt wird. Denn es ist mehr als wahrscheinlich, daß die wenigsten der Flüchtlinge aus freien Stücken zurückkehren.
An der Grenze erteilt der Vertreter des tansanischen Innenministeriums, Philbert Magere, nur knappe Antworten: „Heute morgen besuchte eine Delegation unserer Armee und des Innenministeriums die Lager. Das Ergebnis können Sie sehen: Die Flüchtlinge kommen. Wir haben ihnen gesagt, Ruanda sei ein gutes Land und sie können jetzt gehen“. Die Argumente der tansanischen Delegation scheinen sehr überzeugend gewesen zu sein. Tansania hat bisher versucht, eine gewaltsame Konfrontation mit den Führern der ruandischen Flüchtlinge zu vermeiden. Die Regierung und die Armee in Tansania versuchen, die Rückkehr der Flüchtlinge mit einer Mischung von Überzeugungsarbeit und Drohung zu erzwingen.
Aber was ist mit den Angehörigen der ruandischen Hutu-Milizen und der früheren ruandischen Armee geschehen, die hier ebenso wie in den ruandischen Lagern in Zaire unter den Flüchtlingen lebten, vor allem im Lager Benaco? Philbert Magere weiß davon nichts. „Es sind alles Ruander“, meint er. „Die politischen Führer, die die Bevölkerung einschüchtern, sind nicht angeschrieben. Und wir kennen sie nicht.“ Es ist eine grandiose Untertreibung. Es ist kaum anzunehmen, daß Tansanias Regierung die Führer der ruandischen Flüchtlinge nicht kennt. Sie schiebt das Problem einfach weg.
In Benaco haben viele Flüchtlinge Gründe, nicht nach Ruanda zurückkehren zu wollen. Rund ein Drittel der Lagerbevölkerung stammt aus der Gegend von Rusumo direkt hinter der Grenze, wo die extremistische Hutu-Miliz „Interahamwe“ 1994 massiv gemordet hatte. Respektvoll zeigt ein Bewohner von Benaco auf einen Mann im Wintermantel: „Das ist ein Kapitän aus unserer Armee.“ Schwitzend in seinem graukarierten Kleidungsstück hält der Kapitän eine Ansprache an eine Gruppe junger Männer: „In Ruanda will die Tutsi-Regierung die Hutu ausrotten. Kagame (Ruandas Verteidigungsminister und Vizepräsident, d. Red.) behauptet bloß, er wolle uns zurück. Aber wir gehen nicht zurück. Wir bleiben hier. Wenn nötig, sterben wir hier.“
Diese Art Propaganda hat bis zu diesem Wochenende auch die Unschuldigen an einer Rückkehr nach Ruanda gehindert. Sie hat einzig zum Ziel, alle in den Lagern zu halten, damit sich die Führer hinter einer Masse von Flüchtlingen verstecken können. Das Ultimatum der tansanischen Regierung, die Flüchtlinge müßten bis Jahresende zurückgehen, machte die Führer nervös. Tansanias Regierung machte klar, daß sie Schuldige am Völkermord von 1994 nicht im Land behalten will. Der Armeekommandant für die Region Ngara, Genral Msuya, erklärte, daß all jene, die nicht zurückgingen, Verhören unterzogen und je nach Situation den ruandischen Behörden überstellt würden.
Schon am vergangenen Donnerstag zirkulierten in Benaco Gerüchte, wonach sich die Führungsspitze abzusetzen gedenke. Der Massenauszug aus den Lagern in den Busch an diesem Tag verschaffte den Extremisten unter den Flüchtlingen möglicherweise die Gelegenheit zu verschwinden. Ein Vertreter des tansanischen Innenministeriums gibt zu, daß wahrscheinlich nicht alle Flüchtlinge wieder in die Lager zurückkehrten. „Sie werden aber hören, daß die anderen schon nach Ruanda zurückgekehrt waren“, behauptet er. „Wie sollen sie im Wald überleben? Sie werden wiederauftauchen.“ Außer jenen, die nicht nach Ruanda zurückgehen können, weil sie zu befürchten haben, daß die ruandische Justiz sie erfaßt.
Anders als in Zaire, wo die Interahamwe-Milizionäre und die Exsoldaten während der Angriffe der zairischen Rebellen auf die Lager von den Flüchtlingen getrennt wurden, scheint in Tansania keine Trennung von Schuldigen und anderen Flüchtlingen passiert zu sein. Die Repatriierung der ruandischen Flüchtlinge aus Tansania scheint schwieriger als die aus Zaire und trägt für Ruanda selbst mehr Konflikte mit sich. Denn entweder kehren die Milizionäre und Soldaten mit der Masse zurück und bedrohen Ruanda von innen – oder sie halten sich im tansanischen Busch versteckt.
Für den letzteren Fall hat die tansanische Regierung bereits eine Lösung vorgesehen, die sie elegant umschreibt: „Sobald die Flüchtlinge weg sind, werden wir eine Aktion gegen Wilderer in unseren Wäldern durchführen. Wilderer sind Feinde, und wir wollen, daß auch unseren Kindern die Tiere erhalten bleiben.“ Die Vorbereitungen auf den Kampf gegen die „Wilderer“ sind möglicherweise schon im Gange. Bereits jetzt berichten tansanische Journalisten in der BBC, daß die Anwesenheit der Flüchtlinge ja große Schäden in den Nationalparks angerichtet habe und die Zahl der Tiere massiv dezimiert worden sei.
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