: Klar, klangschön und stets transparent
■ Viel Beifall für den Domchor nach der Aufführung des Weihnachts-Oratoriums durch deDomchor erhielt beim Weihnachts-Oratorium
Am 23. August 1730, vier Jahre vor der Komposition des „Weihnachts-Oratoriums“, schrieb Johann Sebastian Bach an den Leipziger Stadtrat: „Kurzer, jedoch höchstnöthiger Entwurff einer wohlbestallten Kirchen Music“:
In dieser Schrift fordert er, daß jeder „musicalische Chor“ wenigstens zwölf Sänger aufweisen sollte. Offensichtlich standen Bach also nicht einmal diese selbstverständlich zur Verfügung. Nicht uninteressant, sich seiner Notlage zu erinnern, angesichts der jetztigen Aufführung im überfüllten Dom mit circa 100 Chorsängern einschließlich einiger eingeflogener Mitglieder des „Christmas-Oratory-Choir“ aus Tokyo. Jede/r Leiter/in einer Laienchores steht heute vor der unlösbaren Frage der authentischen Besetzung, denn man muß davon ausgehen, daß die Besetzung die kompositorische Faktur geprägt hat. Im Historismus des 19. Jahrhunderts sind die großen Besetzungen selbstverständlich geworden, die in der Praxis der Laienchöre im 20. Jahrhundert nicht mehr hinterfragt wurden, weil man einen auch sozial funktionierenden Laienchor nicht in bessere und schlechtere SängerInnen zerteilen kann.
Wolfgang Helbich zählt mit dem Bremer Domchor seit Jahren zu den Chorleitern in Bremen, die das Beste daraus machen. Auch mit einem großen Chor kann schlank und durchsichtig gesungen werden und die Kammer Sinfonie spielt zwar nicht auf alten Instrumenten, hat sich aber viele Erfahrungen aus der historischen Aufführungspraxis in Bezug auf Artikulation mit gutem Erfolg zu eigen gemacht. Die bei der Aufführung dieses Werkes naheliegende Gefahr von Abnutzung und Routine – unzählige Male schon hat Helbich das Weihnachts-Oratorium aufgeführt – trat an diesem inspirierten Abend nicht auf, sondern schlug ins Gegenteil einer überragenden Souveränität um. Klar, klangschön und stets transparent erklangen die Architekturen. Ein tänzerisch-federnder Impuls sicherte der Gesamtwiedergabe eine beeindruckende atmosphärische Dichte, die besonders auch von den hervorragenden Solisten Gesa Hoppe, Waltraut Hoffmann-Mucher, Wilfried Jochens und Gotthold Schwarz getragen wurde.
Die neu restaurierte Sauer-Orgel kam mit der Wiedergabe der Toccata und Fuge in F-Dur, BWV 540 in der Interpretation von Wolfgang Baumgratz in ihren überreichen klanglichen Möglichkeiten noch nicht ausreichend zur Geltung Dazu hätte es anderer Literatur bedurft. Diesen Abend nutzte Baumgratz eher, um die Durchsichtigkeit der verschiedenen Stimmverläufe zu zeigen. Insgesamt ein überzeugender Abend, der mit stehenden Ovationen endete.
Ute Schalz-Laurenze
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