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Wand und BodenVon der Bewältigung des Künstler-Ichs

■ Kunst in Berlin jetzt: Yana Milev, Stephen Prina, Der telematische Raum II

Der Postbote ist irritiert, denn die Galerie Eigen+Art ist derzeit völlig abgedunkelt. Die verhängten Fenster gehören zur Installation „AOBBME“: Vom Namen der Künstlerin bis zum Blitzlicht im vorderen Raum ist alles ritualisiert. Früher schrieb sich Yana Milev noch Jana und studierte an der HfBK in Dresden Szenografie. Jetzt ist der Name nur mehr Teil eines Konzepts, bei dem es Milev um die Bewältigung ihres Künstler-Ichs geht, das stets als Medium zwischen Subjekt und Werk eingespannt ist. Wo aber ist die Künstlerin, wenn sie nicht schöpft? Oder schlimmer noch: Verschwindet der Mensch womöglich in der Kunst?

Milev versucht, ihre vielfältigen Problemen mit der Existenz ebenso abstrakt wie hermetisch ins Bild zu setzen. Seit Performances Ende der 80er Jahre (ein paar Fotos dokumentieren Aktionen mit Eiern und Farbe) splittet sie ihre Persönlichkeit in Zeichen auf, von denen in der Ausstellung vier rätselhafte Ordnungsbegriffe übrigbleiben. Sie heben sich leicht grau von der Wand ab: „Initiation“, „Utopie“, „Black Box“ und „Diaspora“, dazu ein oktogonales System aus aufgemalten Kreisen. Doch der Bezug erscheint ebenso obskur wie zusätzlich in Vierer- Formation installierte Möbelroller oder der Blitz am Eingang: Zuletzt läßt sich alle Erfahrung im Label „AOBBME“ fassen, das laut Milev „Grenzerlebnisse“ subsumiert. Was auch immer sich hinter dem reduzierten Selbst- Verhältnis verbirgt, in der künstlerischen Praxis nimmt sich Milevs Programm sehr radikal aus. Zwei weitere Fotos zeigen, wie eine Frau die Buchstabenfolge auf den Rücken tätowiert bzw. eingebrannt bekommt.

Bis 25.1., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Auguststraße 26

Auf Stephen Prinas Einladungskarte sieht man Truthahn und Adler friedlich vereint – wie überhaupt in den USA stets noch Tiersymbole für Staat, Kirche, Küche einstehen (vermutlich eine Erbschaft der Indianer). Prina wiederum arbeitet bei seinen drei Werkgruppen in der DAAD-Galerie mit der Gegenüberstellung europäischer Kulturen und einer an der amerikanischen Westcoast beliebten Reduzierung der Formen (bei einem Maximum an Aussage): Soziologie mit Pop- Appeal. Selbst Marcel Broodthaers Adler-Museum wird mit NS- Postern und kleinen Namensschildern mit der Aufschrift „Was könnte das noch sein?“ zum Abenteuerpark der Moderne.

Auf einer Fotoserie mit 16 Cibachromen sieht man die steinigen Hügel der Akropolis. Statt des Tempels hat Prina allerdings die Rundum-Scheinwerfer-Bataillons fotografiert, mit denen das Monument nachts angestrahlt wird; die Serie entstand wiederum am Thanksgiving Day im November 1990 (eben, der Truthahn). In solcherart Engführung von Mythen und Kulten, die der Zivilisationsprozeß in beiden Welten (Neuer und Alter) abwirft, entwickelt der 1954 geborene Konzeptkünstler eine ungeheure Akribie. Für „Exquisite Corpse – the complete paintings of Manet“ hat er alle Bilder des Impressionisten, die sich in deutschem Besitz befinden, zu winzigen Farbfeldern im Maßstab 1 mm = 11,39 cm herunterkopiert. In der enormen Übersichtlichkeit verschwindet das Werk fast vollständig, zugleich wird darin die historische Bedeutung des Malers aufgewertet – schließlich stellt sich Prina ja bewußt der Tradition, indem er mit blauen und sandfarbenen Flächen an die monochrome Malerei eines Elsworth Kelly anknüpft.

„Retrospective under duress, reprise“, bis 26.1., täglich 12.30 bis 19 Uhr, Kurfürstenstraße 58

Wirtschaft, Sprache, Kultur, Kommunikation: Alles besitzt seinen eigenen Raum, und alle Räume überschneiden sich. Auf diesem allgemeinen Lehrsatz, daß Information ohne Ort – Cyberspace inklusive – nicht zu haben ist, beruht auch „Der telematische Raum II“ in der NGBK. Entsprechend gehen die Arbeiten der vier eingeladenen KünstlerInnen gar nicht erst auf den Stand der Medientheorie ein, sondern fertigen munter Intallationen.

Maureen Connor etwa präsentiert ihr Video „Narrow Escape“ in einem Garderobenschrank aus dem Rokoko mit drei eingefaßten Monitoren. Fünf Debütantinnen spielen „Reise nach Jerusalem“; zunächst müssen sie allerdings durch einen schmalen Türspalt kriechen, während auf zwei Bildschirmen Teller mit Obst und Süßspeisen angerichtet werden. Dann beginnt der Reigen zur Melodie einer Vaudeville-Schnulze; statt aber die Stuhlzahl zu verringern, bricht nur alle paar Minuten ein Exemplar entzwei. Sobald eine der jungen Damen ausscheidet, darf sie sich am Büfett bedienen – für Connor ein Bild, in dem sich der Widerspruch zwischen dem Hedonismus des 18. Jahrhunderts und den körperlichen Zwängen, denen der moderne Mensch unterworfen ist, zeigt.

Merel Mirage hat ein interaktives Büro aufgebaut, dessen Computer zu kommunizieren beginnt, sobald sich Besucher am Arbeitstisch niedersetzen. „Subject: emotions encoded“ ruft in einem gängigen Gesprächsrhythmus Sätze über Online- und Fax-Kommunikation ab. Manchmal seufzt das virtuelle Gegenüber auch oder sagt Dinge wie: „Just heard an ambulance in the rain.“ Erst wenn man aufsteht, erstarrt die Plauderei wieder zur Installation.

Vor allem Eran Schaerf nutzt den konkreten Ausstellungsraum und stellt ihm seine erzählenden Arrangements entgegen. Über einige Dutzend Holzpaletten verteilt, finden sich Textpassagen aus einem Popsong von Papa Wemba, der über den Status junger Afrikaner singt, die sich im Westen mit Luxusgütern ausstatten, um damit in der Heimat ihr gewachsenes Ansehen repräsentieren zu können. Andererseits konterkariert Schaerf die Warensymbolik, indem er Chanel-Röcke neben gleichgemusterten Palästinensertüchern und Camouflage auslegt oder selbst Vorlagen anfertigt. So steht auf einem weichen orangefarbenen Stoff Werbung für ein „Authentic Fiction Filmfestival“.

Nur Martin Beck hält mit seiner Dokumentation „Trade (Europe): transferred“ an der Unauflösbarkeit von Mißverständnissen und Projektionen fest, die sich im Rekurs auf fremde Orte ergeben. Beck hatte in Moskau für eine Ausstellung die neuen Märkte Rußlands untersucht und war neben allerlei global players auch auf Geschäfte der Mafia gestoßen. Nun sieht man einen feingekleideten Jungmanager russisch sprechen, von dem ein beigelegtes Heft behauptet, er gehöre einer kriminellen Organisation an. Der feine Unterschied der Milieus ist völlig verschwunden.

Bis 22.1., täglich 12–18.30 Uhr, Oranienstraße 25 Harald Fricke

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