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Die Blutspur unserer Kirche

■ Erstmals in einer Bremer Schule: Ein Moslem, eine Jüdin, ein Christ und ein Buddhist diskutierten / Über Sattsein, Rabbi Jesus, das Töten von Tieren und einen Elefanten namens Wahrheit

enn sich Vertreter der großen Weltreligionen treffen, gibt es normalerweise Mord und Todschlag (vgl. Kreuzzüge, Belfast, Golan-Höhen, Sarajewo usf.). In vorweihnachtlich friedlicher Absicht dagegen (Christbaumkerzen leuchteten) versammelten sich am Donnerstag im Waller Schulzentrum Rübekamp: Elvira Noa, Israelische Gemeinde in Bremen; Mehmet Kilinç, seinen drei kopftuchtragenden Schülerinnen wohlbekannt („Für manche von euch bin ich der Hodscha“); Pastor Helmut Langel, u.a. Sektenbeauftragter der Bremer Evangelischen Kirche; sowie Michael Sabass, zum Buddhismus konvertierter Physiker. An die 200 Schüler wohnten im backsteingemütlichen „Forum“ ihrer Schule dem ersten interreligiösen Gespräch an einer Bremer Schule bei.

Mit erstaunlicher Geduld hielt ein Teil der Anwesenden geschlagene zweieinhalb Stunden durch, bei Themen wie Salman Rushdie / Darf man Tiere töten? / Ich bin nie satt! / Rabbi Jesus und Wer ist Gott? Das Publikum: Jugendliche in dem Alter, das es Referenten schwer macht, sich für Du oder Sie zu entscheiden. Es roch verbreitet nach Herrenserie. Obwohl im Schulzentrum Rübekamp auch die Berufsschule für allerlei Ernährungsberufe untergebracht ist (Jungen und Mädchen in Metzgerkluft durchquerten mitunter das Forum), waren es doch ganz überwiegend Gymnasiasten, die in ihren Kursen beschlossen hatten, an der Veranstaltung teilzunehmen. Die Ernährungsberufe hatten sich auf die Empore verkrümelt, wo einige Gameboy und Bücher auspackten, einige (in ironisierender Absicht?) Kerzen und Räucherstäbchen entzündeten. Eine kleinere Massenflucht setzte ein, als Organisatorin und Religionslehrerin Evelyn Marquard gleich zu Beginn die Alternative eröffnete: Entweder bis zum Ende durchhalten oder jetzt raus.

Wie gerät man in eine Religion? Zum Beispiel Herr Sabass. Hatte als verheirateter Mann gemerkt, „irgendwas fehlt, ich bin nie satt, drei Wochen ging es mir gur, drei Wochen war ich im Loch. Da entdeckte ich ein Buch über Meditation.“ Seitdem „sitzt“ er täglich, fand einen buddhistischen Lehrer, wurde Mönch in einem japanischen Kloster. Nun ist er „auf dem Weg bis zum Ende des Leidens, bis zum Sattsein.“

Dagegen Herr Kilinç. In einer islamischen Familie geboren. Mit 16 wie weiland Abraham die Religion der Eltern in Frage gestellt. Atheist geworden, von der Familie ausgestoßen. Zeitweise in einer buddhistischen Gruppe in Bremerhaven engagiert. Den Islam wiederentdeckt. Heute lehrt er die Moslemjugend, an ihrer Religion zu zweifeln.

Vergeblich versuchte die Moderatorin Marquard, den Gästen etwas über die Unterschiede zwischen ihren Religionen zu entlocken. Sicher, die Festtage fallen anders, wie die Jüdin erläuterte. Der Buddhist wird wiedergeboren und dauernd für Versäumnisse aus einem der tausend vorherigen Leben bestraft. Doch alle beteuerten ihre Toleranz gegenüber anderen Religionen, daß man nicht töten soll, daß man Verantwortung trägt für soziale Gerechtigkeit. Soviel Einheit machte erstens müde und erklärte zweitens nicht, warum sich Vertreter der großen Religionen immer wieder die Köpfe einschlagen.

Die anwesenden Schüler – 50 hielten bis zum Ende durch – sagten wenig. Das, was sie hätten sagen können, nahm ihnen Pastor Langel aus dem Mund, indem er seine Großkirche heftig attackierte. „Jugendliche finden unsere Großkirchen langweilig und leer, ernst und dogmatisch, das geht mir auch manchmal so. Unsere Kirchen haben Jesus Christus zum Weltheiland gemacht und Judentum und Islam verteufelt. Dabei war Jesus ein Rabbi. Die ganze Religionsgeschichte durch wird getötet, was das Zeug hält, die Geschichte durchzieht die Blutspur unserer Kirche. Ich sage mal ketzerisch: Solange wir ,Heiland' sagen, kriegen wir nicht aus der Welt, daß sich die Religionen bekämpfen.“ Selbstbescheidung sei das Gebot der Stunde. Schluß mit der Kirchensteuer. Der Einfluß der Großkirchen sei einfach zu groß. Und, unerwartet aus dem Mund des wackeren Sektenbekämpfers: „Wir müssen offener werden gegenüber Esoterik und Okkultismus. Nicht gleich verdammen!“ Da sei einiges spannend, könnte „uns Christen ein Stück weit weiterhelfen“.

„Religion und politische Verantwortung?“ Evelyn Marquard stieß auf Granit mit ihrer Frage. Israel? Habe nichts mit Religion zu tun, so Frau Noa, das sei ein rein politisches Problem. Islamische Fanatiker, die sich genauso auf den Koran berufen wie die islamischen Friedensapostel – was ist mit denen? Was ist mit der Koranstelle: „Du sollst nicht töten, außer es ist nötig?“ Der Islam verbiete das Töten wie den Krieg, es sei denn der Verteidigungskrieg. Sagte der Hodscha. Und die Koranstelle sei falsch übersetzt: „Du sollst nicht töten, außer in der Not.“

Die Schüler aber? Mutmaßten nicht ganz zu Unrecht: „Sie wollen uns bekehren!“ und fragten: „Wenn alle das gleiche wollen, warum brauchen wir dann verschiedene Religionen?“ Einmal immerhin wurden die Gameboys zur Seite gelegt: als ein Schüler die Frage aufwarf, ob asiatischer Kampfsport nicht unbuddhistisch sei. Und sicherlich in die Nähe der Interessenlagen der meisten Anwesenden geriet Pastor Langer, als er nebenbei anmahnte zu überdenken, ob Menschen denn überhaupt Tier und Pflanzen töten dürfen.

„Die Schüler sind heute sehr harmoniebedürftig“, erklärte ein Lehrer in der anschließenden „Manöverkritik“. Er wird recht haben: Sie fanden es gewiß in Ordnung, daß sich am Donnerstag im Rübekamp nicht Orthodoxe die Rübe einschlugen. Doch es schien ebenso nett wie ermüdend zu wirken, daß die einzelnen Religionen sich so konturlos vorstellten. Es blieb den Jugendlichen wenig zu sagen, solange sich der Christ und der Moslem schon als innerkirchliche Opposition darstellten (Kilinç vergaß nicht zu erwähnen, daß er sich öffentlich gegen die Verfolgung von Salmon Rushdie ausgesprochen hat).

Eigentlich hatte Kilinç ja schon gleich zu Beginn der Veranstaltung den Grundton vorgegeben. Nämlich als er – ganz Prediger – ein Gleichnis vortrug: Ein Elefant kommt in ein Dorf voller blinder Einwohner. Die betasten ihn und geraten sich wegen ihrer unterschiedlichen Interpretationen in die Haare. „Ein Zylinder! Ein Schlauch! Ein Strick!“ Die Blinden sind wir. Der Elefant ist die Wahrheit.

Burkhard Straßmann

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