: „Deserteure nicht ausweisen“
■ Der CDU-Rechtsexperte Horst Eylmann hofft auf die deutschen Gerichte. Den Russen droht in der Heimat Haft, vielleicht sogar Tod
taz: Herr Eylmann, wie ist die Situation der russischen Deserteure in der Bundesrepublik?
Horst Eylmann: Sie ist ziemlich unglücklich. Erst wurde ein jahrelanger Entscheidungsstopp verhängt, seit Frühjahr 1996 bekommen sie Ausweisungsbescheide. Die Begründung ist sehr gleichlautend und sehr pauschal: Desertion ist in jedem Land strafbar und fällt nicht unter politische Verfolgung. Ich hoffe, daß die Gerichte das korrigieren.
Ist denn schon jemand abgeschoben worden?
Nein. Aber man muß damit rechnen, daß das Auswärtige Amt diplomatische Rücksichten übt. Ich sehe das etwas anders: Rußland ist zwar keine Diktatur mehr, aber die Zustände in den Gefängnissen und in der Armee sind menschenunwürdig. Immer noch verschwinden in Rußland Leute. Die Deserteure – es ist eine überschaubare Zahl – und deren Familien dürfen kein Bauernopfer auf dem Feld eines guten deutsch-russischen Verhältnisses werden. Entweder werden sie in Rußland amnestiert oder sie dürfen bleiben.
Was droht den Deserteuren?
Lange Haftstrafen, vielleicht sogar der Tod. Was tat Stalin nach 1945 mit den russischen Kriegsgefangenen? Er ließ viele von ihnen erschießen, weil sie nicht im Kampf gefallen waren. Sie galten als Vaterlandsverräter. Bei den Deserteuren wird das nicht anders sein.
Wird das Verhältnis zu Rußland belastet, wenn die Deserteure nicht zurückgeschickt werden?
Nein. Jelzin muß einsehen, daß die russischen Soldaten in einer Übergangsphase desertiert sind, als noch nicht feststand, ob sich die Perestroika durchsetzt. Ein Deserteur, den ich persönlich kenne, sollte zurückgeschickt werden, weil er ein zu kameradschaftliches Verhältnis mit Bundeswehroffizieren hatte. Da ist er geflohen.
Wie groß sind die Chancen, daß die russischen Deserteure bleiben dürfen?
Das Innenministerium, das Außenministerium und der BND äußern sich derzeit nicht. Es hat schon Versuche gegeben, ehemalige Deserteure in Deutschland zu entführen. Da fuhren dunkle Limousinen vor. Ein Staat, der so etwas veranlaßt, kann kein funktionierender Rechtsstaat sein. Manfred Otzelberger
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