: Vier Stufen auf dem Weg zum Abgrund der Sünde
■ CompuServe verteidigt auch 1997 die Werte der amerikanischen Familienmoral
Pünktlich zum Jahresende meldet sich bei den Mannen von CompuServe das Gewissen zu Wort. 1995 hatte ihnen die Staatsanwaltschaft von München das Stichwort geliefert. Kaum hatten die Polizisten in Deutschland auf Internet- Newsgroups mit sexuellem Inhalt hingewiesen, waren sie in Amerika schon vom Rechner gelöscht. Dieses Jahr mußte eine Schöne daran glauben, die den „Level 4“ des Recreational Software Advisory Council (RSCA) erfüllt.
Die amerikanische Organisation hat schon 1994 ein Klassifizierungssystem für Computerspiele entwickelt, das CompuServe auf das eigene Netz wie auf das Internet anwendet. Es bewertet die Darstellungen von Gewalt, die Grade der Entblößung, die sexuellen Reize oder Handlungen von Personen und die Sprache, derer sie sich bedienen. Die Skala reicht von „0“ (harmlos) bis „4“ (streng verboten für Kinder).
Daß Kinder bei einer Zeichnung im Briefmarkenformat hängenbleiben, ist wenig wahrscheinlich. In diesem Fall sprach außerdem der Kontext dagegen: Die Nackte illustrierte auf der Homepage der Berliner Autorin Claudia Klinger (http://ourworld.compuserve.com/homepages/CKlinger) einen Text über Männerphantasien. „Mich gibt es gar nicht“ lautet der Kernsatz, doch so weit mochte der „Worldmaster“ nicht lesen, der in Ohio über die guten Sitten wacht. Er teilte am 18. Dezember dem „Dear Member“ schriftlich mit, er habe Material gefunden, das ebenso anstößig und unangebracht wie den Nutzungsbestimmungen von CompuServe widersprechend sei. Das Mitglied möge die in „provocative frontal nudity“ gezeigte Dame entfernen, oder wenigstens eine Warnung davor schalten. Claudia Klinger löschte die Grafik bei CompuServe und speicherte sie bei einem Berliner Internetprovider, ergänzt um eine eigene Stellungnahme mit Bitte um Diskussionsbeiträge (http:// www.snafu.de/~klinger/cyborg htm). Kein Skandal diesmal, alles ist schon letztes Jahr gesagt worden.
Ergänzend, aber in Verkennung der amerikanischen Familienmoral will ein Briefschreiber jetzt einen „Preis für sexuelle Enthaltsamkeit“ ausloben. Erster Kandidat ist CompuServe. Niklaus@taz.de
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