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Handys von Onkel Frost

■ Beim russischen Weihnachtsfest unter der "Jolka" muß sich der Weihnachtsmann mit deutschen Liedern helfen. Feiern der Zeitung "Russki Berlin" noch bis Mittwoch

BBei der Bescherung piepte und klingelte es: Spielzeughandys fanden sich in den Geschenktüten der Kids, die gestern im Russischen Haus in der Friedrichstraße mit Clowns, Spielen und Tombola das russische Weihnachtsfest feierten. Gesponsert wurde das bunte Spektakel von der Berliner Zeitung Russki Berlin, die seit Juni vergangenen Jahres die rund 100.000 russisch-stämmigen Berliner mit Informationen in kyrillischer Schrift versorgt. Der lustige Reigen um den Tannenbaum dauert insgesamt drei Tage. Am heutigen Mittwoch ab 16 Uhr besteht daher für alle Dreikäsehochs noch die Chance, verspätete Weihnachten mit „Kalinka“ und „Onkel Frost“ zu erleben.

Die Protagonisten des „Jolka“- Festes sind für Westeuropäer alte Bekannte: Im Mittelpunkt steht der lammettabehängte Tannenbaum, die „Jolka“. Der Weihnachtsmann heißt zwar „Onkel Frost“, trägt aber das bewährte rote Gewand und den langen weißen Bart. Entstanden sind der russische Festkalender und seine Symbolik allerdings auf Umwegen: Der christlich-orthodoxe Heilige Abend wird zwar am 6. Januar unseres Kalenders begangen, das Jolka-Fest jedoch ist eigentlich die säkularisierte Form von Dreikönig (9. Januar). Der Weihnachtsbaum ist ursprünglich nicht Teil des orthodoxen Kirchenfestes, hat aber nach westlicher Sitte die russischen Wohnzimmer okkupiert.

Für die begeisterten Kinder sind die kulturellen Hintergründe wohl eher zweitrangig. Sie ziehen mit Polonaise durch die geschmückte Halle, tragen Gedichte vor und zelebrieren unter Anleitung von „Bärchen“ und „Häschen“, die als Entertainer fungieren, den Ententanz: „Kwack, Kwack, Kwack.“ Der familieneigene Camcorder, geführt von Vaters Hand, hält die Gymnastik des Nachwuchses fürs Pantoffelkino fest.

Dimitri Feldmann, Anzeigenleiter von Russki Berlin, beobachtet derweil das feierliche Treiben – mit einem lachenden und einem weinenden Auge: „Ich hatte mit mehr Besuchern gerechnet“, gesteht er, verweist jedoch darauf, daß die Feier an einem normalen Arbeits- und Kindergartentag stattfindet. Und zum russischen ersten Weihnachtstag am 7. Januar rechnet er mit erhöhtem Zustrom. Dann sind auf Einladung von Russki Berlin Kinder aus Tschernobyl zu Gast.

Auch in Zukunft will seine Zeitung verstärkt kulturelle Aktivitäten fördern, beispielsweise ein regelmäßiges Kindertheater in russischer Sprache anbieten. So hofft er, daß durch seine Zeitung und deren Veranstaltungen ein lebendiger Ort des Austauschs und der Integration für die russischsprachigen Berliner entsteht. Abnutzungserscheinungen in der Emigration lassen sich jedoch gerade bei der Sprache nicht übersehen: So mußte sich „Onkel Frost“ des öfteren mit deutschem Liedgut bescheiden: „O Tannenbaum“ sang ihm eins der Kinder. Die Kleinen besuchen fast alle deutsche Schulen. Klemens Vogel

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