: Etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes Von Susanne Fischer
Warum ich so selten zu Hochzeiten eingeladen werde, verstehe ich wirklich nicht. Ich bin im allerbesten Hochzeitsgastalter, weil ich schon zu groß bin, um in der Kirche beim Segen „Was macht der Onkel jetzt?“ zu brüllen, andererseits wiederum noch nicht alt genug, um bereits nach der Vorspeise eingeschlafen zu sein und mit meinem rasselnden Sabberatem der Braut das Décolleté zu besudeln.
Äußerst erfreut fuhr ich deshalb kurz nach Silvester durch die Republik, um einem solchen Topereignis im Leben einer Freundin beizuwohnen. Offenbar hatte sie die gesamte Bevölkerung eingeladen, denn in den Zügen konnte man sich nur mühsam durch Kinderknäuel und Seniorenaufläufe zum reservierten Platz durchschlagen. Ich wunderte mich, daß alle älteren Frauen mit kleinen, zutraulichen Tieren reisten, die erst auf ihrem Kopf hockten und dann vor ihnen auf den Tischen lagen. Der mir gegenübersitzenden Dame hüpfte ihr kreisrundes Tier aus Polarfuchs mehrfach von der Armlehne auf den Schoß, so daß sie es schließlich von München bis Garmisch verzweifelt festhielt, während sie mit der anderen Hand das Lesebrillenetui umklammerte, das offenbar soeben rebellisch geworden war. Wegen ihres Bewacherjobs sah sie sich außerstande, weiter in ihrer Broschüre zu lesen, die den Titel „Heiraten – für Christen kein Problem“ trug. Damit sie die Lektüre fortsetzen konnte, wollte ich das Brillenetui mit dem Fuchs verehelichen, indem ich den einen über das andere stülpte, aber die Oma machte ein solches Gezeter, ich wolle ihr die Mütze klauen („bloß borgen, für ein Experiment“ widersprach ich), daß ich lieber ausstieg, zufällig im richtigen Ort.
Vor der Kirche fing ich das beklommene Hochzeitspaar ab, um ein Thema ihrer Wahl zu diskutieren. Sie durften wählen zwischen: a) wieso heiratet Ihr überhaupt, b) wieso gerade jetzt, c) wieso heiratest du ihn, obwohl du mir noch fünfzig Mark schuldest, d) wieso heiratest du sie, obwohl sie entsetzliche Schulden hat. Nachdem ich von den Brautjungfern ohne weitere Diskussion niedergetrampelt worden war, hätte ich beinahe die Zeremonie verpaßt.
Während des feierlichen Rituals stellte sich heraus, daß die Brauteltern die Kirche gar nicht von ihren Vätern ererbt, sondern nur von den Katholiken geliehen hatten, obwohl alle Beteiligten Protestanten waren. Das klang nach einem gottlosen Handel, und ich konnte erfreut überlegen, ob unter diesen Umständen die ganze Unternehmung als eher ungültig betrachtet werden könnte, falls nämlich sich alles doch als kapitaler Irrtum herausstellen würde („Eine Frau mit Schulden über 49,99 DM? Niemals!“). Denn im Gelöbnis ist zwar von „guten und schlechten Tagen“ die Rede, aber nicht von: „Ich will dich lieben und ehren, auch wenn du in Kneipen deine Freundinnen anpumpst, um dir Bier kaufen zu können.“
Nach dem Traugottesdienst mußten wir zum Feiern rasch in ein anderes Dorf fahren, damit die anrüchige Kirchenborgerei nicht aufflog. Im dortigen Dorfgasthof hatten die Brauteltern den großen Saal „nur mal eben für die Feier gepumpt“. Es ging hoch her, besonders nachdem die Angehörigen der sabbernden Generationen das Schlachtfeld geräumt hatten. „Meinen Segen habt Ihr“, lallte ich zum Abschied generös dem Paar zu, „aber bloß geliehen!“
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