: Halbierte Versprechen
Wie kann die Arbeitslosigkeit reduziert werden? Studie fordert geringere Sozialversicherungsbeiträge und mehr Staatsinvestitionen ■ Von Barbara Dribbusch
Es gehörte zu jenen politischen Versprechen, die zwar niemand glaubt, aber darauf kommt es auch nicht an. Die Zahl der Arbeitslosen solle bis zum Jahr 2000 halbiert werden, so hatten die Teilnehmer der Kanzlerrunde am 23. Januar 1996 versprochen. Die schlagzeilenträchtige Formulierung mit den eingängigen Zahlen (Halbierung! Jahr 2000!) hatte immerhin Symbolkraft. Doch heute, ein Jahr später, erzeugt das Versprechen nur müde Lacher.
Die Formulierung nach der Kanzlerrunde im Januar 1996: „Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung setzen sich das gemeinsame Ziel, bis zum Ende dieses Jahrzehnts die Zahl der registrierten Arbeitslosen zu halbieren“, hieß es in dem gemeinsamem Papier. Und weiter: „Dies ist erreichbar, wenn keine zusätzlichen Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt auftreten und wenn alle Verantwortlichen ihr Handeln an diesem Ziel ausrichten.“ Zumindest die Arbeitnehmer mußten inzwischen tatsächlich zurückstecken. Neue Jobs aber sind nicht in Sicht, im Gegenteil: 1997 könnte die Zahl der Arbeitslosen auf über 4,5 Millionen steigen.
„Es gibt zwar immer neue Forderungen, den Standort zu retten, aber für die Arbeitsplätze wird nichts getan“, resümiert Bernhard Schulz vom Bundesvorstand des DGB. Im sogenannten „Programm der Bundesregierung für mehr Wachstum und Beschäftigung“ vom April 1996 versuchte es Kanzler Kohl mit arbeitgeberfreundlichen Maßnahmen. Beispiel: Kündigungsschutz. 500.000 Arbeitsplätze habe das Handwerk in Aussicht gestellt, wenn nur der Kündigungsschutz gelockert werde, erklärt Schulz. Aber schon kurze Zeit später, als nämlich tatsächlich der Kündigungsschutz gekappt wurde, revidierte Handwerkschef Heribert Späth die voreilige Ankündiung: So einfach ginge es dann eben doch nicht.
Auch die Kappung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall brachte vor allem Millioneneinbußen durch Streiks und ein vorübergehend mieses Klima in den Betrieben. Allerdings: die Tarifabschlüsse etwa in der Metallindustrie sind mit 1,5 Prozent in diesem Jahr sensationell niedrig ausgefallen. Mit dem niedrigen Metall-Abschluß, dem andere folgen werden, erfüllten zumindest die Gewerkschaften für 1997 eine mögliche Voraussetzung, die Arbeitslosigkeit tatsächlich zu verringern. Die niedrigen Tarifabschlüsse hatte der IAB-Forscher Wolfgang Klauder mit Kollegen in einer Studie als Voraussetzung zu mehr Beschäftigung genannt. Nach dem Bericht aus dem Nürnberger IAB-Institut müßte es ein „Strategiebündel“ von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften geben, um tatsächlich mehr Beschäftigung zu bewirken. Die wichtigsten Punkte: Die Sozialversicherungsbeiträge werden jedes Jahr um einen Prozentpunkt gesenkt. Die staatlichen Investionen sollen um 10 Milliarden angehoben werden.
Zur Gegenfinanzierung soll die Mehrwertsteuer und Mineralölsteuer erhöht und bei Subventionen und Sozialausgaben mittelfristig kräftig gespart werden. Die Lohnsätze dürfen außerdem in den nächsten Jahren nur in Höhe der Inflationsrate steigen. Der massive Abbau von Überstunden und mehr Teilzeitjobs sollen ebenfalls für neue Arbeit sorgen, so die IAB-Forscher.
Der reine Sparkurs der Bundesregierung bringt nichts, so läßt sich aus der Studie schließen. Im Gegenteil: Nach den IAB- Hochrechnungen überwiegen kurzfristig die „unmittelbar dämpfenden Nachfrageeffekte“ einer Sparpolitik.
Das läßt sich gegenwärtig beispielsweise an der schlappen Nachfrage im Einzelhandel und dem müden Investitionsklima ablesen. Die Beschäftigungseffekte von Kostensenkungen und Einsparungen kommen hingegen erst verzögert, also mittel- oder längerfristig zum Tragen, geht aus der Studie hervor.
Die negativen Beschäftigungseffekte seien „besonders hoch und letztlich auch die Einspareffekte im Staatshaushalt besonders gering“, „wenn zuerst und vor allem die öffentlichen Investitionen gekürzt werden“, heißt es in dem Bericht.
Dennoch sind auch die IAB- Forscher mittelfristig nicht für höhere Staatsausgaben, sondern unterm Strich für Einsparungen. Nur: die Einsparungen bei Subventionen und Sozialleistungen sollen nach der Studie allmählich steigen und erst jenseits der Jahrtausendwende ihren Höhepunkt erreichen. Der Einhaltung der Maastricht-Kriterien zur Verschuldung dürfe gegenwärtig eben kein Vorrang eingeräumt werden, meinen die Forscher.
So weit die IAB-Studie. Das Problem: Alle, Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber müßten bei diesem „Strategiebündel“ mitziehen. Keiner aber wolle eine Vorleistung erbringen, „ohne sicher sein zu können, daß auch die andere Bank mitmacht“, bedauert Wolfgang Klauder. Da ist es einfacher in der Politik, neue Versprechungen zu machen. Und irgendwann mal wieder zurückzunehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen