: Jenseits des Racherituals liegt die zivile Gesellschaft
■ betr.: „Fragwürdige Gerechtig keit“ (Ruanda: Völkermordtribu nal fällt die ersten Todesurteile), taz vom 4./5. 1. 97
Es sei „verlockend“, schreibt Dominic Johnson, auf die Frage nach der Legitimität der Todesstrafe für Täter des Völkermords „eine prinzipielle Antwort geben zu wollen“. Es liegt aber in der Natur der Menschenrechte, daß sie „prinzipiell“ sind, das heißt universell. Sie gelten für alle Menschen, nicht nur für die, die wir für ihrer würdig befinden.
Und das ist gut so. Denn in dem Augenblick, in dem wir die Achtung vor der Menschenwürde an Bedingungen knüpfen, akzeptieren wir, daß nicht jeder Mensch an sich „würdig“ ist, sondern daß ihm Würde gegeben und genommen werden kann (von wem?) – wir machen Menschenwürde zum Spielball willkürlicher Entscheidungen.
Wenn der Staat tötet, dann gibt er das Signal, daß das Menschenrecht auf Leben und Schutz vor grausamer und unmenschlicher Behandlung eben genau kein Menschenrecht ist, und daß es Gründe gibt, legal zu töten. „Daß die ersten Völkermordprozesse in Ruanda mit Todesurteilen geendet haben, ist das einzig richtige Signal an die noch frei herumlaufenden Drahtzieher“, schreibt Dominic Johnson. Das ist es nicht. Das einzig richtige Signal wäre die Aussage: Das Leben des Menschen ist unantastbar, für Völkermörder ebenso wie für die ruandische Justiz. Barbara Erbe, Pressesprecherin
amnesty international
[...] 1. Auf die Eingangsfrage, ob die Täter der Völkermordes die Todesstrafe bekommen sollen oder nicht, kann man aus menschenrechtlichen und damit grundsätzlichen Erwägungen nur mit „nein“ antworten. Egal ob sie nun sogenannte „Kategorie eins“-Täter (die Planer und Organisatoren des Völkermordes) sind oder nicht. Allerdings: Diese Antwort ist weder „verlockend“, noch „muß“ man sich deswegen den „Vorwurf von Blindheit gefallen lassen“.
2. Urteile, die ergehen, ohne daß die Beschuldigten wie in den beiden Fällen Verteidiger hatten, genügen rechtsstaatlichen Grundprinzipien nicht. Sie sind nicht akzeptabel und dürfen keinen Bestand haben. Das drohende Strafmaß läßt auch nicht zu, darüber nur „streiten“ zu wollen.
3. Weder die „Armut“ oder fehlenden Zukunftsaussichten in Ruanda noch der vermeintliche Abschreckungseffekt als Signalwirkung für die Drahtzieher der Massaker taugen als Maßstäbe für die Angemessenheit der ergangenen Todesurteile.
Was wären die Folgen, wenn sich Dominic Johnsons Haltung durchsetzen würde? Die Schmerzen des Opfers beim Vollzug der Strafe würden noch mehr in Vergessenheit geraten, und nicht wieder gutzumachende Fehlurteile wären kaum noch ein Thema. Es müßte nicht mehr über die Grausamkeit der Todesurteile diskutiert werden, die die Menschen – bis hin zu den ausführenden Vollzugsbeamten – durch immer ausgeklügeltere Tricks zu verdrängen suchen. Schließlich würde die oft feststellbare Folgenlosigkeit des Vollzugs auf seiten der Angehörigen der Verbrechensopfer verschwiegen: die bleibende Leere, die einsetzenden Probleme mit dem Weiterleben und die fehlende Unterstützung durch die Gesellschaft jenseits des Racherituals.
Der Fokus würde sich statt dessen folgenschwer verschieben. Die Auseinandersetzung würde dann darüber geführt werden, ob die Voraussetzungen für den Vollzug der Todesstrafe nach den „konkreten Umständen“ (Dominic Johnson) gegeben seien. Ist der Grad der „Armut“ im Tatland erreicht? Sind die Zukunftsaussichten dort miserabel genug? Ist die Justiz zu „unterfinanziert“ und zu „unterbesetzt“, um auf anderem Wege ihre „Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit“ „unter Beweis“ stellen zu können? Lassen sich im Falle Ruandas die Drahtzieher, die immerhin billigend den Tod von Hunderttausenden geplant und ausgeführt haben, durch Todesurteile und deren Vollzug ausreichend beeindrucken? Was für sinnlose Fragen, welch ein Quatsch!
Das prinzipielle Eintreten gegen Todesstrafe in jedem Fall läßt sich allerdings leichter beschreiben als öffentlich durchhalten; es ist nicht „verlockend“. Nur recht haben zu wollen, hilft erst einmal nichts. Man muß eine Haltung entwickeln und stets selbst überprüfen, ob man sie angesichts von geständigen uneinsichtigen mehrfachen Mördern und gegenüber tief verletzten Angehörigen von Verbrechensopfern gleichermaßen durchzuhalten vermag. Vor dem Hintergrund einiger Fallschilderungen gibt es durchaus Momente, in denen man sich ohne weiteres in der Öffentlichkeit äußern will. Die Forderung „Keine Todesstrafe!“ ist grundsätzlich, sie ist aber eben auch inhaltlich deutlich limitiert und will in erster Linie nicht mehr als einen Minimalkonsens sicherstellen. Wer die mutmaßlichen Täter darüber hinaus nur als Opfer sieht, droht die Angehörigen der Verbrechensopfer allzu leicht aus dem Blick zu verlieren und macht es sich damit einfach.
Trotzdem kann nur die ausnahmslose Ablehnung der Todesstrafe Fundament einer zivilen Gesellschaft sein – egal ob in Afrika, Südamerika, Asien, Australien, den USA oder in Europa. Der Vollzug der Todesstrafe in Ruanda, gegen wen auch immer, bringt das Land diesem Ziel kein Stück näher. Es gilt, dort vielversprechendere Dinge wieder in Bewegung zu setzen als den Vollzug einer unmenschlichen Strafe. Ich dachte, das wäre Konsens in der taz. Michael Maier-Borst, Berlin
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