Point 'n' click
: Es herrscht ewiger Sonntag

■ Eine CD-ROM läßt die lichten Farben des Malers Vermeer noch heller leuchten

Heute würde ein Maler wie Vermeer wahrscheinlich keinen Pinsel mehr benutzen, sondern „Photoshop“, „Painter“ oder ein anderes gescheites Malerwerkzeug aus der Software-Palette. Auf diese Idee kann kommen, wer die ambitionierte CD-ROM „Vermeer – der Maler und sein Werk“ am Bildschirm betrachtet. Ein Medium, wie geschaffen für Vermeer: Der Lichtmaler des Nordens, dessen beste Bilder von einer ins Metaphysische greifenden Leuchtkraft durchdrungen sind, nun zu sehen auf einem inwendig beleuchteten Bildträger – dem Computermonitor.

Der Anlaß für die jetzige Präsentation seiner Bilder auf CD- ROM ist allerdings ein anderer. Die Scheibe versteht sich als Nachtrag zu der allseits umschwärmten Ausstellung in Den Haag im Sommer dieses Jahres. Zweitens, und das ist der wichtigste Grund, repräsentiert die CD- ROM den aktuellen Stand der Forschung. Was im Falle Vermeers einiges bedeutet: Soeben ist die akribische Restaurierung der Hauptwerke abgeschlossen worden. Von alter Firnis und neuen Übermalungen befreit, erscheinen die holländischen Bildnisse und Landschaften aus dem 17. Jahrhundert nunmehr „buchstäblich in neuem Licht“, wie der Verlag sich brüstet.

Was der Betrachter vor allem an jenen vier Hauptwerken Vermeers nachvollziehen kann, die im Zentrum der CD-ROM stehen. Eine sinnvolle Beschränkung: Hier wird kein Bilderfutter auf den Markt geworfen, zum raschen Durchklicken und Kopieren, sondern ein ruhiger Blick in die Tiefe vermittelt. 17 weitere Vermeer-Bilder sowie 75 Werke von Zeitgenossen können zwar zu Vergleichszwecken abgerufen werden. Aber die vier zentralen Bilder öffnen sich dem User für eine wirklich eindringliche Betrachtung.

„In neuem Licht“ erscheinen nun also: das elegante „Mädchen mit rotem Hut“, das rätselhafte „Mädchen mit der Perle“, die selbstversunkene „Frau mit Waage“ und die „Ansicht von Delft“ mit ihren minutiösen Details. Was die Werke eint, ist ihre atmosphärische Kraft. Eine andächtige Stille liegt über den Gesichtern der Häuser und Menschen – ein zeitlos schönes Holland, in dem, wie es ein Historiker trefflich beschreibt, „ewiger Sonntag“ zu herrschen scheint.

Wie kein anderer Maler versetzte Vermeer die profanen Szenen des Delfter Kaufmannslebens in eine spirituell anmutende Sphäre. In seinen Stuben und Kammern stört kein Ausblick auf das städtische Treiben die Idylle. Die Figuren sind in meditativer Versenkung fixiert. Und das Licht, dieses kühle, diffuse, unbeschreiblich schöne Licht, mit dem Vermeer seine Kaufmannskammern erfüllt, es ist wirklich nicht von dieser Welt. Ungreifbar. So werden die Figuren samt ihrer Beigaben – und schließlich auch die Malerei selbst – aller Stofflichkeit entkleidet.

Genau dieser Effekt wird nun durch das neue Medium bestens repräsentiert. Mehr noch: übersteigert. Denn die Strahlkraft der Vermeerschen Bilder erscheint am Bildschirm, dessen gläserne Oberfläche ja von einer rückwärtigen, unsichtbaren Bildröhre gleichsam erleuchtet wird, noch strahlender. Es ist, als ob die Farben von innen heraus glühten: Jedes Glanzlicht auf dem silbernen Ohrring, jeder Lichtsaum am zarten Handrücken wird hier effektvoll illuminiert. Eine Wirkung, die bei den eher anekdotischen Werken eines Bosch oder Breughel an der Idee der Malerei vorbeiginge. Aber bei Vermeer trifft sie den Kern der Kunst.

Dem Effekt arbeiten weitere Analogien zwischen dem alten und dem neuen Medium zu. Die Situation des Betrachters am Bildschirm entspricht in vielen Punkten derjenigen, in der sich Vermeers Mädchen und Frauen befinden. Gefangen in stiller Betrachtung, vom diffusen Licht (des Monitors) bestrahlt, der übrigen Umgebung entrückt. Und der voyeuristische Charakter, der dem Blick in die Intimitäten der Computer zu eigen ist, trifft sich bestens mit jener besonderen Betrachterperspektive, die die holländischen Maler für ihr Publikum konstruieren. Svetlana Alpers hat das in ihrer rezeptions- ästhetischen Studie über die Kunst des 17. Jahrhunderts treffend beschrieben: „Vermeer deckt auf, daß der Künstler so etwas wie ein Voyeur ist, der eine Frau zu seinem Betrachtungsobjekt macht.“

Der CD-ROM-User unserer Tage braucht Vermeers private Bürgerkammern freilich nicht nur diskret zu begaffen, sondern er kann in ihnen ungeniert herumwandern. Eine ausgefeilte Zoom-Funktion macht's möglich. Das exotische Mädchen mit den Ohrringen läßt sich so auf komplette Bildschirmgröße bringen, ohne störende Menüleisten. Dann kann der Betrachter beliebige Ausschnitte hochvergrößern, dem Glanz des Ohrrings, dem zarten Lichtsaum nachspüren, alles hochaufgelöst – kein Pinsel stört den delikaten Farbverlauf. Bis in die Ritzen der Krakelüren kann man dringen, bis schließlich die Materie der einzelnen Farbtupfer zum Greifen nah erscheint. Doch das Rätsel dieser Lichtmalerei bleibt ungreifbar. Denn in größter Vergrößerung bleibt vom Bild nur ein leuchtender Farbnebel, beziehungs- und gegenstandslos. Thomas Wolff

„Vermeer – der Maler und sein Werk“. Navigo Multimedia (München), geeignet für Mac und PC, 99 Mark