: „Wo ist Bremen?“
■ Trotz des Nervenkitzels beim Finale blieb die Stimmung bei den Bremer Sixdays eher lau – außer beim Abschied von „Klaus und Klaus“
ein, das wollten sie dann doch nicht wahrhaben. Die Stadionsprecher der Sixdays überschlugen sich. „Wo ist Bremen?“, brüllten sie immer wieder ins Mikrofon. Das Publikum reagierte zunächst verhalten. In den letzten Minuten des Finales aber riß es die ZuschauerInnen dann doch von den Sitzen.
Fünf Mannschaften lauerten auf den Sieg: Der Bremer Andy Kappes, der im vergangenen Jahr verletzungsbedingt ausscheiden mußte, wollte es diesmal wissen. Immer wieder hatte er während der fünftägigen Jagd durchs Oval mit seinem Partner Carsten Wolf aus Delmenhorst das Tempo angezogen und so vor dem Finale das größte Punktekonto aufgemacht. Hart bedrängt jedoch von Marco Villa und Silvio Martinello, dem italienischen Team im regenbogenfarbenen Weltmeistertrikot. Sie hatten im Vorjahr gewonnen und präsentierten sich erneut in Topform. Doch auch der Schweizer Bruno Risi, neben Andy Kappes unbedingter Publikumsliebling, war scharf auf die Trophäe und hatte sich mit seinem Teamkollegen Kurt Betschart eine aussichtsreiche Position für das Finale erstritten. Die dänische Mannschaft mit Jens Veggerby und Jimmy Madsen hatten sich am letzten Abend noch nach vorn katapultiert. Mit einer Runde Vorsprung aber lag die belgische Mannschaft vor dem alles entscheidenden Rennen an der Spitze. Diesen Vorsprung wollten Etienne de Wilde und Olaf Ludwig um jeden Preis über die letzte Jagd retten.
Das Tempo, das die insgesamt 24 Fahrer bei der einstündigen Verfolgungsfahrt vorlegten, war von Beginn an mörderisch. „Woher nehmen die Burschen nur diese Kraft“, schrie der Stadionsprecher begeistert. „Das ist kein Kindergeburtstag, das ist Weltklasse!“ Damit lockte er auch die weniger Sportinteressierten von den Versorgungströgen weg hinein in das Oval, wo die Spannung unaufhörlich anstieg. Da, ein Ausbruchsversuch: die Dänen treten an, um ihren Rundenrückstand aufzuholen. Doch schon zieht Andy Kappes nach. „Go, Andy, go!“ Doch die „Meute“ hängt an seinem Rückrad.
Da schießt wie ein Pfeil Bruno Risi nach vorn. Das macht ihm keiner nach, dafür liebt ihn das Publikum und vergißt für einen Moment, daß Andy Kappes der Lokalmatador ist. „Risi“, brüllen die ZuschauerInnen, jetzt langsam in Stimmung kommend. Bruno weiß es zu nehmen und macht das Unglaubliche wahr: Er vollendet eine Doublette, zweimal nacheinander überrundet er mit seinem Partner das Feld.
Elf Minuten vor Ablauf der Zeit liegen die fünf möglichen Gewinnermannschaften rundengleich vorn. De Wilde kämpft unermüdlich, ihn kann mit seinem schwachen Punktekonto nur ein Rundengewinn retten. Doch jetzt beäugt jeder jeden, Ausbruchsversuche werden sofort gekontert und abgefangen. Zehn Runden vor Schluß steht fest: Das 33. Bremer Sechstagerennen wird nach Punkten entschieden. Alles konzentriert sich daher auf das italienische und das bremische Team im roten Trikot. In höllischem Tempo rast das Feld um die 166 Meter lange Piste. „Da müssen wir Kappes und Wolf nochmal helfen“, brüllt der Stadionsprecher. „Schieben Sie mit. Wo ist Bremen?“ Jetzt steht das Publikum auf, die Italiener übernehmen die Spitze. Doch da kommt Andy und katapultiert seinen Kollegen Carsten Wolf mit dem Schleudergriff nach vorn. Er kämpft verbissen um die Führung, schiebt sich ran an den Mann mit dem Regenbogentrikot. Ob er das johlende Publikum wahrnimmt, ist fraglich. Und da passiert es: Mit hauchdünnem Vorsprung überquert er die Ziellinie. Andy Kappes und Carsten Wolf haben gewonnen!
Nach 1.500 Kilometern, die jeder Fahrer im Laufe der sechs Tage hinter sich gelegt hat, haben dreieinhalb Zentimeter über den Sieg entschieden. Spannender kann ein Rennen kaum sein. Und doch war die Stimmung diesmal insgesamt verhaltener als im Vorjahr. Am Publikumszustrom kann es nicht gelegen haben: Der Veranstalter verbuchte mit 125.500 ZuschauerInnen einen neuen Publikumsrekord bei den Bremer Sixdays. Darunter aber scheint es eine ganze Menge Leute zu geben, die der Überzeugung sind: Das einzige, was beim Sechstagerennen stört, sind die Radfahrer.
Ihren Höhepunkt erreichte die Stimmung folgerichtig erst beim Abschiedskonzert von „Klaus und Klaus“. Die ersten Sportbegeisterten verließen die Halle. Draußen standen die Taxis vor dem eigenen Finale und warteten in Lauerstellung auf ihre Kunden. dah
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