piwik no script img

Disco-Humanismus und Kulturduft

■ Es gibt Tage, da findet man kaum genug Rezensenten für all die tollen Konzerte in der Stadt

Janet Jackson

Im Foyer der Alsterdorfer Sporthalle standen viele Leute, die so schauten, als hätten sie alles in der Hand. Drinnen aber standen die jungen Frauen, die sich ein paar Jahre nach der Jahrtausendwende, wenn sie ihre ersten Platten einspielen, daran erinnern werden, daß ihnen Janet Jackson mit ihrem Konzert am Donnerstag abend geholfen hat, die noch ausstehenden Entscheidungen „für später“ in eine schöne gleißende Aufforderung zum Selbermachen münden zu lassen. Seit ein paar Jahren motzt Jackson den traditionellen Phillysound zu einer riesigen Funk-Maschine auf. Die läuft und läuft: Bei ihrem Auftritt ging es zwischen „Wizard of Oz“-Impressionen und Oden an die Freude, die man so als Disco-Humanistin erlebt, hin und her. Jackson hielt einen Crash-Kurs über alle vier Temperamente ab. Man glaubte ihr ansehen zu können, daß sie währenddessen fast ausschließlich an Schicksalsgewitter und altruistische, vom Himmel verordnete Aufträge denkt. Beides immer im guten Einvernehmen von Tiefgang und Tanzlaunen.

In Jacksons Welt gibt es außerdem keinen Kitsch. Denn sie erfährt die Welt als eine Ansammlung von Anlässen, gerührt oder von Grooves angefixt zu sein und beides subito in Handlungen umzusetzen. Eine Königinnen-Gala.

Kristof Schreuf

Joe Jackson

Ein Konzert in der Musikhalle ist wie Gottesdienst mit Applaus. Andächtig lauscht der Klassikfreund den Klängen von Schubert, Brahms und Co. Manchmal wirkt der altehrwürdige Barockbau aber auch wie der Austragungsort einer SPD-Wahlkampfveranstaltung. Bei Joe Jackson zum Beispiel. Lauter nette Leute, Durchschnittsalter 36 bis 47, wollten den Briten an seinem Flügel sehen. Die Frauen hatten sich extra hübsche bunte Tücher umgebunden, die Männer ihre schulterlangen Haare ganz modern zum Zopf zusammengebunden. Das kann Joe nicht mehr. Macht nichts, er ist ja nicht der einzige Joe im Popbusiness, dem es so geht – aber bestimmt der einzige Jackson, der studiert hat. Das ist lange her. Zwischenzeitlich galt Jackson als intellektueller Kopf der New Wave-Bewegung, komponierte Filmmusik, wandte sich dem Jazz zu und gelangte schließlich zum klassischen Komponieren. So wurde sein neues Album Night Music wesentlich komplexer als die Vorgänger. Da reichte es dem Piano-Mann auch nicht mehr, bei Live-Auftritten nur den Flügel auf die Bühne zu stellen. Diesmal überraschte er sein Volk mit Violinistin, Gitarrist und Percussionistin und lieferte die perfekte Show mit einem Sound, an dem Janet in der Alsterdorfer Sporthalle lange basteln müßte – freute sich nach all dem Aufwand aber sichtlich als Zugabe seinen Vier-Ackord-Klassiker „I'm A Man“ auf der E-Gitarre braten zu dürfen.

Michael Quell

Laika

Wau! Schönes Konzert der fünf Engländer, die sich der sowjetischen Weltraumhündin so verbunden fühlen. Ein Hauch jenes seltenen Dufts von Kultur auf der Höhe der Zeit nebulierte durchs 3/4-gefüllte Knust, wenn sich die dezent sperrigen und kraftvoll groovenden (gibt es wirklich kein anderes Wort?) Rhythmen warmliefen, um dann in Handarbeit angereichert und veredelt zu werden.

Rhythmisch war dabei im Zweifelsfall alles, doppelte Perkussion und auch das Keyboard diente tendenziell eher als Schlag-, denn als Tasteninstrument. Auch wenn Bandleaderin Margeret Fiedler die Gitarre, wegen derer sie sich von ihrer Ursuppe Moonshake getrennt hatte, aufheulen ließ, auch dann war noch alles Rhythmus, nur der schöne Schmerz bekam eine Richtung. Ja, so wird wohl Zukunft schmecken – Menschen gruppieren sich, um Information vom Band abzurufen – doch wenn sie klug sind, dann verfallen sie nicht in uralte Playback-Peinlichkeiten, wie der Bassist, der streckenweise willenlose Luftübungen betrieb, sondern sie arbeiten mit der Maschine, um zu neuen Ergebnissen zu gelangen. Laika haben das Niveau dieser Auseinandersetzung jedenfalls auch live gehörig angehoben.

Holger in't Veld

Poster Children/Girls Against Boys

Schon im vorwege herrschte eine ausgesprochene Verwirrung, wer denn nun heute abend den Hauptact darstellen sollte. Hinterher war diese Frage eindeutig zugunsten der Poster Children entschieden. Sie spielten einen musikalischen Trend wieder an die Oberfläche, der Ende der Achtziger im Zeichen der Kreuzüberdiskursrocker schon fast begraben war. Echter Hardcore, mit einem galoppierenden Schlagzeug, das den Eindruck erweckt, es diene als Energieversorgung für die übrigen Bandmitglieder. Schlichter Knödelgesang über rotierenden Gitarren, trotzdem aber schöne Songs mit Liebe vorgetragen. Wir versuchen uns diesen Namen zu merken. Wenn man das Genre auf diese Art wiederbeleben kann, lohnt es sich wieder, das Skateboard aus dem Keller zu holen.

Leider spielten die Children doch als erste Band, ohne Zugaben, und was dann kam, ist eigentlich nicht der Rede wert. Waren Girls Against Boys dereinst im Dunstkreis um Fugazi eine originelle Combo im schrägen Gitarrendschungel, so klingt dies jetzt alles wenig einfallsreich. Da zeigt sich, daß flinkes Baßspiel und hopsende Collegestudenten in knielangen Shorts noch keinen Sommer machen. Trotzdem ein Konzert mit Lustigkeit. Ulf Paustian

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen