: Dreck über den Wolken
■ Die Klimabelastung durch Flugverkehr ist nicht allein durch moderne Triebwerke zu verringern. 13-Stunden-Flug belastet wie viereinhalb Jahre Autofahren. Kerosinsteuer brächte 6 Milliarden Mark ein
Da sage doch einer, den Reiseveranstaltern mangele es an Geschäftssinn, die Phantasie ihrer Kunden zu beflügeln. Wie wär's mit Weihnachtsshopping auf der Fifth Avenue in New York oder in den Marmor-Malls auf der Orchard Road in Singapur? Wo schmeckt das Zürcher Geschnetzelte besser als bei den Eidgenossen?
Einchecken, einsteigen und abdüsen. Solche Lust- und Freizeittrips, angeboten meist zu Schnäppchenpreisen, sind eine der Ursachen für die Steigerung des Weltluftverkehrs um derzeit jährlich sechs bis sieben Prozent. Weltweit wird sich die Zahl der Flüge innerhalb der nächsten zehn Jahre verdoppeln, auf den Pazifik-Routen sogar vervierfachen. Allein in Deutschland wird der Flugverkehr laut einer Studie des Bundesverkehrsministeriums bis zum Jahr 2010 um bis zu 150 Prozent anwachsen – unter den gegebenen verkehrspolitischen und fiskalischen Rahmenbedingungen.
Und genau die will Brigitte Siemen, Klimaexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), knacken. Für sie ist das Flugzeug das umweltschädlichste aller Verkehrsmittel: „Die Politiker müssen schleunigst etwas gegen das ungebremste Umherdüsen am Himmel unternehmen, wenn sie es mit dem Klimaschutz ernst meinen.“ Siemen weiß, daß sie mit ihrer Forderung, weniger zu fliegen, zu den einsamen Rufern in der Wüste gehört. Deshalb plädiert die Umweltaktivistin für die Einführung einer Kerosinsteuer, um das Fliegen zu verteuern. Kostet den Busunternehmer der Liter Diesel an der Zapfzäule mehr als eine Mark, tanken die deutschen Flieger den Liter Kerosin gerade einmal für ein Drittel. Der Mallorca- Urlauber müßte bei einer Kerosinsteuer mit einem Zuschlag von etwa 85 Mark rechnen, für den Flug nach Asien müßte der Traveller etwa 550 Mark mehr hinlegen. Netter Nebeneffekt für Theo Waigel: Der Finanzminister könnte sich bei einer Treibstoffsteuer auf Mehreinnahmen von mindestens sechs Milliarden Mark freuen. Da die Bundesregierung aber einen nationalen Alleingang ablehnt, ist mal wieder das Prinzip Hoffnung angesagt: Im Frühjahr wird die Europäische Kommission die Chance ausloten, ob eine Kerosinsteuer EU-weit eingeführt werden kann. Daß aber Länder wie Frankreich, Italien oder Griechenland ihren Staats-Airlines die Flügel stutzen, ist eher unwahrscheinlich.
Für den BUND ist die Verkehrswende über den Wolken auch unter Klimaschutzgesichtspunkten ein Muß. Als unabhängigen Zeugen kann sich der Umweltverband dabei auf die Klima- Enquetekommission des Bundestages berufen. Nach deren Expertisen stieg der „luftfahrtsbedingte Kohlendioxid-Ausstoß gegenüber 1990 immer noch um 20 Prozent“, selbst wenn der jährliche Flugverkehr auf dem Globus nur noch um drei Prozent wachsen und gleichzeitig der spezifische Treibstoffverbrauch bis zum Jahr 2010 um die Hälfte sinken würde.
Genau diesen Trend bestätigte das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung in einem Gutachten für das Umweltbundesamt. Die durch den Flugverkehr bedingten CO2-Emissionen werden bis zum Jahr 2010 um 50 Prozent steigen. „Die Klimaziele der Bundesregierung werden damit im Flugverkehr weit verfehlt“, lautet die schonungslose Quintessenz der Studie, die im vergangenen Jahr passend auf der Berliner ITB, der weltweit größten Tourismus-Messe, präsentiert wurde. Daß auch die aus den Düsen gepusteten Stickoxide in der untersten Schicht der Atmosphäre, der Troposphäre, wo sich das Wettergeschehen abspielt, die Ozonbildung beeinflussen, ist unbestritten. Strittig ist dagegen, welchen Beitrag das Ozon auf den Treibhauseffekt hat.
Dagegen hält Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) es nach dem Stand der Atmosphärenforschung für bewiesen, „daß der zivile Luftverkehr nach den heute verfügbaren Daten keine nennenswerten Auswirkungen auf Klima und Ozonverteilung hat“. Diese Erkenntnisse der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt präsentierte der Zukunftsminister Anfang Oktober vergangenen Jahres auf dem Köln/Bonner Flughafen. Der Kölner Physiker Dietrich Brockhagen, der für Greenpeace die „Klimaschädlichkeit des Flugverkehrs“ untersucht hat, wirft Rüttgers „eine einseitige, unsachliche und grob verharmlosende Kommentierung“ vor. Nach allen vorliegenden Forschungen müsse davon ausgegangen werden, daß der Flugverkehr einen Anteil von über drei Prozent am globalen CO2-Ausstoß hat. Brockhagen: „Wenn man bedenkt, daß nur sieben Prozent der Weltbevölkerung überhaupt am Flugverkehr teilnimmt, dann erscheinen Rüttgers Zahlen in einer ganz anderen Relation.“
Als nicht haltbar wertet Brockhagen Rüttgers populistische Prognose, wonach es so aussehe, „als hätten wir Zwei- Liter-Flugzeuge früher als das von Greenpeace lautstark propagierte Drei-Liter- Auto“. Richtig sei zwar, daß der durchschnittliche Kerosinverbrauch der Flugzeuge in den zurückliegenden 25 Jahren halbiert und auch die Abgaswerte verbessert werden konnten, beim Mehr an geflogenen Kilometern bleibe von diesen Einsparungen nicht mehr viel übrig. Im Gegenteil: Allein 1995 flossen 6,6 Prozent mehr Kerosin in die Bordtanks der Lufthansa-Maschinen, bei der Charter-Tochter Condor stieg der Kerosinverbrauch sogar um über 19 Prozent. Brigitte Siemen vom BUND: „Selbst wenn Lufthansa in ganzseitigen Anzeigen mit einem Verbrauch von 3,7 Litern ihrer technisch neuesten Flieger wirbt, so liegt doch der durchschnittliche Flottenverbrauch bei 5,3 Litern.“ Beim Jonglieren mit den Kerosinziffern werde oft übersehen, daß die westlichen Airlines ihre alten Maschinen allzu gerne in die Dritte Welt verkaufen würden, wo die Triebwerke den Dreck in unvermindert hoher Konzentration in die Atmosphäre pusteten.
Allein mit modernen Triebwerken sei die zunehmende Klimabelastung durch den Flugverkehr nicht in den Griff zu bekommen sein, meint Ady Köhn vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH: „Diese Entwicklung wird möglicherweise mit Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung und -verlagerung kombiniert.“ Genau diese Frage soll eine Untersuchung des Umweltbundesamtes klären, an der das Wuppertal Institut derzeit zusammen mit dem TÜV Rheinland und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung arbeitet. Ende 1997 soll das Gutachten vorliegen. Für Februar ist bereits die Präsentation des Zwischenberichtes vor dem Wissenschaftlichen Beirat des Umweltbundesamtes geplant, dem auch Vertreter der Luftfahrt- und Tourismusbranche angehören. Bei diesem Treffen dürfte schon eine Vorentscheidung fallen, wohin die Reise mit einer möglichen Kerosinsteuer geht.
Brigitte Siemen vom BUND bleibt vorerst nichts anderes übrig, als gegen die Auswüchse des Flug- Tourismus zu kämpfen. Der vom Frankfurter Veranstalter Dertour im vergangenen August angebotene zweistündige Rundflug vom rheinland-pfälzischen Landeplatz Haan mit einer Überschall-Concorde, zählt sie zu den abschreckenden Beispielen: „Wir müssen den Leuten immer wieder ins Gewissen reden, daß ein 13-Stunden- Flug nach Tokio die gleiche Klimawirksamkeit hat wie viereinhalb Jahre Autofahren.“ Ralf Köpke
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