: Kleine Jungs träumen
Auf der Streif werden Abfahrer unsterblich, aber die meisten sind froh, heil unten anzukommen ■ Aus Kitzbühel Nina Klöckner
Kleine Jungen haben große Träume. Das ist überall gleich. Zuerst wollen sie Feuerwehrmänner, Zugführer oder Piloten werden. Etwas später werden die Wünsche sportlicher und in manchen Ländern sehr konkret. In Österreich, daran ließ die Nation am vergangenen Wochenende keinen Zweifel, träumt fast jeder irgendwann davon, das Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel zu gewinnen. Zum einen, weil die meisten bereits auf Schiern stehen, wenn sie den Kreißsaal gerade verlassen haben. Zum anderen gilt die „Streif“ als spektakulärste Abfahrt der Welt, weil sie extrem schnell, anspruchsvoll und gefährlich ist. Wer gesund runterkommt, ist ein Held. Wer gewinnt, ist praktisch unsterblich.
Genau deswegen, sagte der Österreicher Fritz Strobl (24), habe er sich auf das Rennen vorbereitet wie auf jedes andere auch. Weil Kitzbühel auch für ihn „eigentlich ein Traum ist“. Aber, „wenn du es zu sehr willst, gelingt es dir wahrscheinlich nie“. Als er dann die Ziellinie passierte, gerieten die 40.000 Zuschauer und die zahlreichen Pelzmäntel auf der VIP-Tribüne völlig aus dem Häuschen. Strobl dagegen blickte ungläubig auf die Anzeigetafel, da er im Steilhang zu nah ans Netz geschlittert war und deswegen „nicht wußte, ob das noch schnell war“. War es. Um fast drei Sekunden verbesserte er den alten Streckenrekord aus dem Vorjahr. Das gelang zwar auch 19 anderen Fahrern, aber so schnell wie Strobl war keiner. Und Werner Franz ärgerte sich nur kurz darüber, daß er zum drittenmal in dieser Saison nur Zweiter geworden ist. Als Trost erhielt er 80 Weltcup-Punkte, einen angemessenen Scheck und die Erkenntnis, „daß ich zu den besten Abfahrern der Welt gehöre“.
Auch der Franzose Luc Alphand (31) grinste zufrieden. Die Sprintabfahrt am Freitag hatte er gewonnen, bei der langen tags darauf den Dritten gemacht. Damit hat er nicht nur seine „gute Saisonform bestätigt“, sondern auch noch seinem ständigen Konkurrenten Christian Ghedina aus Italien die Führung im Abfahrts-Weltcup wieder abgenommen.
Soviel zu den Siegern. Und was machten die Verlierer? Während die Besten darüber grübelten, in welcher Kurve sie welches Hundertstel leichtsinnig verschenkt hatten, war man in deutschen Reihen hauptsächlich froh, alles ohne körperliche Schäden überstanden zu haben. Nach dem ersten Durchgang der Sprintabfahrt stiefelte Stefan Krauss wortlos an allen vorbei und sagte dann doch noch etwas: „Ich bin scheiße gefahren, das könnt ihr ruhig schreiben.“ Nach dem zweiten Durchgang, in dem er sich noch auf den 21. Rang verbesserte, war er dann immerhin froh, daß „ich noch lebe“. Und der nächste Tag stimmt ihn sogar zuversichtlich, weil er 18. wurde. Doch den Eindruck, daß die Bundesrepublik derzeit eher zu den Entwicklungsländern im Abfahrtslauf gehört, mag auch diese Plazierung nicht vertreiben.
Wer als Österreicher an einem Weltcup-Rennen teilnehmen will, muß vorher meist ein internes Ausscheidungsrennen überstehen. Davon können sie im Deutschen Ski-Verband (DSV) nur träumen. Nach der harten Landung von Bernie Huber in Chamonix hat sich der Kader auf ein Duo reduziert: Stefan Krauss (29) und Max Rauffer (24). „Zwei Mann sind superschön zu betreuen“, sagte DSV- Trainer Roland Frey, „aber die Erfüllung für einen Trainer kann das nicht sein.“ Für die Athleten auch nicht. „Es wäre besser, wenn wir eine Gruppe wären“, sagte auch Rauffer, „wo ein richtig Guter dabei ist.“ Wer diese Rolle übernehmen soll, kann allerdings niemand beantworten. Krauss liegt mit zwei 15. Plätzen in der Abfahrt zwar im Rahmen, hat sich aber selbst von dieser Saison viel mehr erwartet. Und Rauffer ist nach seinen Stürzen in Val-d'Isère und Bormio erst mal damit beschäftigt, seine Blessuren an Körper und Geist zu vergessen: Beide Schultern hat er sich diesen Winter schon verletzt, im Unterschenkel einen Riß der Syndesmose zugezogen. In Kitzbühel ging er deswegen auch hauptsächlich an den Start, um Erfahrung zu sammeln. „Wenn ich einer werden will, muß ich da runterfahren“, sagte er. Doch dahin ist es noch ein weiter Weg. Einen 35. und einen 36. Platz erreichte er auf der „Streif“ und hat damit die Qualifikation für die Weltmeisterschaft, die in der kommenden Woche in Sestriere ausgetragen wird, endgültig verpaßt.
Und während Strobl, Alphand und Franz munter spekulierten, wer von ihnen in Italien wohl Weltmeister wird, hofft Krauss, daß er nicht ganz alleine nach Sestriere reisen muß, „damit ich wenigstens mit jemanden ratschen kann“.
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