: Die Herdplatte, der Schriftsteller, mein Auto und das Nichts Von Susanne Fischer
Ich glaube an die Wiedergeburt. Jeden Tag werde ich auf meinem Weg in die Kreisstadt von einem Wesen ausgebremst, das sich als Fußgängerampel tarnt. Falls mein Auto und ich uns mit mehr als 15 Stundenkilometer nähern, springt die Ampel durch Zauberei auf Rot um, obwohl kein einziger Fußgänger in der Nähe ist. Diese Ampel war im früheren Leben Verkehrspolizist oder Grundschullehrer und muß wegen Böswilligkeit bei der Berufswahl nun in der Vorhölle pädagogischen Minimaldienst schieben. Bremsen! Bremsen! bleut sie uns täglich ein.
„Ach, mach dir nichts draus“, schnaubt mein Auto wie jeden Morgen. Es war nämlich früher Sprücheklopfer und hat erbarmungslos Menschen gequält. Es sagte gern „Tel Aviv“ statt „c'est la vie“, röhrte auch zehnmal am Tag „Schulz mit luftig! Ich zum Bleistift...“ Jetzt muß es als Ford Escort arbeiten, und außer „Mach dir nichts draus“ hat es Sprechverbot, oder es wird noch einmal als Opel Kadett zurückkehren müssen.
Bis ich entdeckte, daß der Dorfbriefkasten die Reinkarnation von Susi, dem kichernden Staubsauger, ist, verging eine gute Weile. Und Susi mußte schon als Wiedergänger von Georg, dem Schwein, gelten, in dem die erstaunlichsten Dinge verschwanden. Georg fraß alles und grunzte. Susi speiste Haarnadeln, Schmuckstücke, Theaterkarten und Schokoriegel mit zufriedenem Rülpsen. Wichtige Dokumente, die ihr Fassungsvermögen überstiegen, zerknautschte und zerfetzte sie. Mit der Altersschwäche ersetzte sie das Rülpsen durch asthmatisches Kichern, doch sie fraß und nagte weiter an meiner kleinen Welt.
Als sie endlich auf den Sperrmüll wanderte, freute ich mich sehr über die neue Unversehrtheit der Umgebung, bis ich bemerken mußte, daß der Briefkasten ihren Dienst übernommen hatte. Meine Post erreicht den Empfänger entweder gar nicht mehr oder halb verdaut, und neulich hat der Kasten sogar schon nach meinem Mantelärmel geschnappt. Doch ich wage nicht, ihn zu demolieren und auf seiner Reise durch die Zeit ein Stück voranzuschieben. Vielleicht kommt er als Bulldozer wieder und erinnert sich noch an manchen Tritt gegen sein pißgelbes Blechkleidchen?
Die wenigsten Wesen wissen, daß zwischen ihre Existenzphasen Würfelrunden gelegt wurden, so daß keine klare Linie oder gar Fortentwicklung Richtung Ewigkeit zu erkennen ist. Ein Bekannter von mir kann sein Übermaß an Schlechtgelauntheit, Faulheit und Aggressivität eigentlich nur einer Vorexistenz als Pitbull verdanken, behauptet aber steif und fest, sich ausschließlich an ein gemütliches Dasein als Pfannkuchenwender erinnern zu können. Das jedoch ist eine Existenzform, die erst kurz vor dem Nirwana zulässig ist, nicht aber direkt nach dem Laternenpfahlschnüffeln. Er habe sich weiter nichts zuschulden kommen lassen und sei geschmolzen, als die nachlässige Hausfrau ihn auf der Herdplatte liegen ließ. Möglicherweise reagiere er deshalb gelegentlich ein wenig ungehalten (dabei schlug er mir immerfort auf den Kopf), aber tatsächlich könne er sich nicht vorstellen, welche böse Tat es verhindert haben sollte, daß er in seiner Wunschexistenz als Vorschlaghammer, Fleischwolf oder Tranchierbesteck fortbestehe. Schriftsteller habe er jedenfalls nicht werden wollen.
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