Von Badens Zico gelinkt

■ Der FC St. Pauli auf Südwest-Tour: Von Zwangsaufstieg, Geschichtsstoff und dem Ende einer stolzen Serie

Spannend wurde es vor allem nach dem Abpfiff. Eine Niederlage waren die Braun-Weißen vom Millerntor seit fünfzehn Spielen nicht mehr gewohnt gewesen. Und dann das Aus in allerletzter Minute, als Mannheims Manndecker Andreas Wagenhaus sich von Dirk Dammann löste und per Flugkopfball den FC St. Pauli als 1:2-Verlierer vom Rasen schleichen ließ. Die Szenerie schrie nach Schicksal, doch sie wurde nicht entsprechend bedient. Nüchtern wurde die verpaßte Chance betrachtet, sich etwas von der Konkurrenz abzusetzen – aus gutem Grund.

Denn Dummheit allein war's, die den nur allzu möglichen Sieg in Mannheim verhinderte. Eine Strategie, mit dem die Maslo-Kicker bei konsequenter Anwendung sogar dem angesichts des schwachen Zweitliga-Niveaus eigentlich verordneten Zwangsaufstieg entgehen könnten. Was aber doch recht unwahrscheinlich sein dürfte, denn schließlich vergeigte auch die Konkurrenz aus Wolfsburg. 16.35 Uhr zeigte der Chronometer, als ein Glücksschuß von Lars Hermel die 0:1-Heimpleite der VW-Städter gegen die biederen Zwickauer einleitete und St. Pauli zum zeitweiligen Tabellenführer emporhob.

Telepathie hin oder her, dies schien auch den Mannheimern einigen Respekt vor den nun etwas mutigeren Gästen einzuflößen. Oder war es doch nur ein Zwischentief als Resultat des kräftezehrenden Pressings, mit dem die Hausherren die erste Hälfte drückend überlegen gestaltet hatten? In der 61. Minute rollte das Leder über Savitchev und Hollerbach jedenfalls irgendwie zu Jens Scharping, der Waldhofs Ersatzkeeper Andreas Clauß aus spitzem Winkel tunnelte und der Serie aus 24:6 Punkten vermeintlich zwei weitere hinzufügen sollte.

Wäre es das einzige Tor vor 17.000 ZuschauerInnen im schmucken Carl-Benz-Stadion geblieben, der 20jährige Stürmer wäre ein weiteres Mal zum hanseatischen Gerd Müller hochgeadelt worden. So aber ließen die St. Paulianer den ehemaligen Freiburger im Waldhof-Dreß, Michael Zeyer, beweisen, daß er nicht zu Unrecht den Beinamen Zico trägt und ganz gut beim badischen Rivalen und dessen Sonnenkind Rodolfo Cardoso abgeschaut hat. Mit zwei Freistoß-Vorlagen drehte Zeyer das Spiel. Die erste landete nach siebzig Minuten auf dem Kopf von Matthias Dehoust, von wo der Ball sich über den abermals glänzenden, diesmal jedoch vom Sonnenlicht geblendeten St. Pauli-Keeper Klaus Thomforde zum Ausgleich ins Tor senkte. Als Thomas Epp nur zwei Minuten später die zaghaften Ansätze von Spielkultur unterbrach und zum gewohnt rauhen Waldhöfer Stil zurückkehrte, Jouri Savitchev umsäbelte und von Schiri Habermann dafür mit Gelb-Rot bedacht wurde, stellte sich St. Pauli erst recht darauf ein, das immer noch zur Tabellenführung ausreichende 1:1 runterzudaddeln, als wollte man demonstrieren, daß kontrollierte Offensive nach wie vor das Fußball-Unwort Nr. 1 ist. Mit bekannten Folgen: reichlich Futter, um die geschmacklose Tragik des ewigen Underdogs zu nähren. Doch da sei ein Maslo vor.

Die Mannschaft fuhr nach der beendeten Serie gleich weiter nach Homburg, Zwischenstation auf dem Weg zum Pokal-Viertelfinale beim 1.FC Kaiserslautern am morgigen Dienstag. Karawanen von Fans werden mitreisen und sich mit Stoff für private Geschichtsstunden versorgen, mit denen die Nachkommenschaft selig genervt werden kann: „Damals, als wir im Pokal am Betzenberg...“ 1995/96 schaut die Mannschaft gehobener Mittelmäßigkeit dann noch ein Jahr auf Stippvisite im Oberhaus vorbei – der Rest ist fürs Poesie-Album.

Folke Havekost