piwik no script img

Bürgerschrecks von gestern

■ Nach längerer Pause produzieren sich Corny Littmann und Co wieder vor Fernsehkameras in: „Die neue TV-Schmidt-Show“

In der Silvesternacht 1993/94 sahen wir die letzte ihrer Art. Vor unseren Augen, hinter der schützenden Scheibe des Fernsehapparates, prosteten sich Corny Littmann, Lilo Wanders und Marlene Jaschke mit ihrem von Sekunde zu Sekunde – und das schon seit vier Jahren – unerträglicher werdenden Grinsen dümmlich zu, als endlich die ersten Raketen und die letzte Schmidt-Show abgeschossen wurden. Kein Wunsch war größer, als daß einer jener Himmelskörper die drei Gruselgrazien und sämtliche verfügbare NDR-Kopien der Sendung weit hinaus ins dunkle Universum schießen würde.

Doch mit den Wünschen zum neuen Jahr ist es nicht sehr anders als mit den guten Vorsätzen. Schon 1994 liefen diverse Schmidt-Spezial-Shows über den Bildschirm, und seit vorgestern schlägt das Universum in voller Härte zurück: Die neue TV-Schmidt-Show wird fortan jeden ersten Samstag im Monat von 22 bis 23.30 Uhr live ins norddeutsche Flachland übertragen.

„Szenen einer Ehe“ ist der Untertitel des neuen Programms. Statt Lilo Wanders spielt nun Georgette Dee Littmanns exzentrische Partnerin. Die Berliner Diseuse (im bürgerlichen Leben einst Krankenpfleger in der Heide) kann sowohl singen, was sie mit einer ergreifenden Hollaender-Interpretation unter Beweis stellte, als auch auf der Bühne sprechen, wovon ihre kleine Supermarkt-Episode zeugte („Und dann habe ich ihr den Wagen in die Hacken geschoben, ich wollte doch ein Gespräch anfangen“).

Littmann kann weder das eine noch das andere, tut aber fatalerweise beides. Was gemeinsam als Sit-Com auf die Bühne gebracht wird, ist so schlecht, daß es in Amerika geradewegs ins elektrische Studio geführt hätte. In Deutschland aber macht man eine Talk-Show draus. Der „Hamburger Aids-Pastor“ Rainer Jarchow plaudert aus seiner Arbeit, und als Gipfel der Peinlichkeit wird Dunja Reiter eine Spende für ihre Heimat Bosnien überreicht. Hatte die Schmidt-Show vielleicht einst als Anarcho-Varieté begonnen, ist sie heute an Biederkeit nicht mehr zu übertreffen.

Im gequälten Konzept einer Hochzeitstagsfeier tritt eine Reihe von illustren Gästen auf, die offensichtlich auch nicht wissen, was sie dort sollen. Jürgen Markus und Jimmy Summerville singen, Krista Sager darf den Salat-Witz (Grün-Rot, haha) machen. Den stärksten Applaus des Abends erhielt eine Beatles Rival Band, und das hätte die schwulen Show-Master von der Reeperbahn auch gar nicht so verwundern müssen: Schließlich haben sie sich das Publikum gezüchtet, das nur noch für den siebten Aufguß der Imitation eines Bürgerschrecks von vorgestern klatschen kann.

Christiane Kühl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen