Wühltisch
: In die Länge gezogen

■ Die Eierrolle optimiert den Küchenalltag, verdirbt aber die kindliche Imagination

Branchenüblich liegt auf sorgfältig geschichtetem Salatlaub die nahrhafte Dekoration: Oliven, Schafskäse oder resigniert eingerollte Tintenfischarme. Fast möchte man von einem kulinarischen Blendwerk sprechen, doch der Trick aus der Küche ist schnell durchschaut.

Die Fisch- und Käsebrocken werden so über den Blätterhaufen drapiert, daß das Salatgrün an möglichst wenigen Stellen durchschimmert.

Wie Dachdecker legen die Küchenmeister die Happen aneinander, einen dicht neben den anderen, stets darauf bedacht, daß nicht zwei Brocken zu sehr überlappen. Eine Dekosorte hat sich beim Salatabdecken am besten bewährt, denn sie ist effektvoll, billig und nimmt eine Grünfläche von schätzungsweise 4,5 Quadratzentimeter ein: gewöhnliche, in Scheiben geschnittene hartgekochte Landeier.

Aus einem traditionellen Hühnerei gewinnt man bei normaler Schnittbreite etwa fünf Scheiben, die dem Gourmetideal „innen gelb, außen weiß“ entsprechen. Alles übrige aber sind stumpfe Eiweißkuppen, die natürlich kein Küchenchef auf seinem Salat duldet.

Was also tun, um nicht Berge eigelbloser Überbleibsel in den Müll werfen zu müssen? Der Weg aus dem Dilemma kommt aus Dänemark und heißt „Langei“, eine weiße, glibbrige Eiweißröhre, die mit blaßgelber Eigelbmasse gefüllt ist, Länge 20 Zentimeter, Gewicht 300 Gramm, Nährwert 1.507 Kilojoule und bei minus 18 Grad Celsius ein ganzes Jahr haltbar.

Ein wenig verwundert es schon, daß diese Neuheit aus Dänemark kommt und nicht etwa aus Holland oder einer der hinreichend bekannten oldenburgischen Hühnerfarmen. Vielleicht hat es mit dem praktischen Verhältnis der Dänen zu ihren Lebensmitteln zu tun. „Den ganzen Umstand, einen Topf herzuholen, Wasser einzufüllen, die Eier hineinzulegen, auf die Kochzeit zu achten, die Eier abzuschrecken und schließlich zu pellen, können Sie sich jetzt sparen“, schwärmt der Hersteller: „Welche Vorteile bietet die Eierrolle.“ Egal, an welcher Stelle man die Langeiröhre tranchiert, immer ergibt sich eine otimale Scheibe im harmonischen Weiß-Gelb- Verhältnis.

„Man erlebt keine Überraschungen mit verfärbten oder mißglückten Eiern“, garantiert das Eierrollen-Heftchen. Unglaublich praktisch erweist sie sich beisielsweise bei der Zubereitung von Pasteten. Man legt die Eierröhre der Länge nach in die Form und umhüllt sie mit der entsprechenden Fleischmasse. Fertig. „Das sieht appetitlich aus und schmeckt prima.“

Für ein „Danish Longegg“ werden sechs Hennen um ihr Tagewerk gebracht, denn sechs Landeier ergeben ein tiefgefrorenes Langei. Das Eiweiß wird in einer Art Reagenzglas zur Röhre gekocht. Dann gilt es, die große technische Hürden zu nehmen, denn exakt im richtigen Moment muß diese Röhre mit der Eigelbmasse hitzekoaguliert, sprich gefüllt und gekocht werden. Es stellt sich natürlich die Frage, ob die Verwendung der dänischen Eierrolle wie bislang auf die flächendeckenden Chefkochetagen beschränkt bleibt oder ob sie gar eines Tages unseren Frühstückstisch dominieren wird.

Bei näherem Hinsehen führt uns die Mutation vom Landei zum Langei noch weiter in eine Entfremdung zwischen Mensch und Natur. So wie die Kinder von heute glauben, die Milch komme aus der Tüte und nicht von der Kuh, so werden die Kinder von morgen einmal glauben, das Ei auf dem Chefsalat kommt aus der Kühltruhe statt vom Huhn. Und schleichend wird es zu einer Verdrehung und Umdeutung bewährter Begriffe führen: Ein Eierkopf wird auch in Zukunft häßlich sein, aber nicht mehr im traditionellen Sinne „eiförmig“, bestenfalls wird er noch ein wenig eiern. Alessandro Peduto