: Vergewaltigung als Kavaliersdelikt
Eine ganze Serie von brutalen Vergewaltigungen hat in Südafrika eine Debatte über die Verfolgung der Täter angefacht. Frauengruppen fordern Kastration und Todesstrafe ■ Aus Johannesburg Kordula Doerfler
Es gibt Sätze, die vergißt man nie im Leben. Für Leon Erasmus ist es der: „Jedesmal, wenn wir das machen, wird es einfacher. Guck mal, die können sich vor lauter Angst nicht mehr bewegen.“ Einer der fünf Täter lachte, als er das sagte. Obwohl Leon Erasmus' Verlobte Gina im neunten Monat schwanger war, fand sie keine Gnade vor den Einbrechern. Leon Erasmus mußte hilflos und mit Draht gefesselt zusehen, wie sie vergewaltigt wurde. Seine dreijährige Nichte Michelle schaute ebenfalls zu. Später wurde auch deren Mutter Adele Roux vergewaltigt, als sie von der Arbeit nach Hause kam. Ihr Mann Johann lag gefesselt in einem Nebenzimmer.
Der Alptraum in einem Johannesburger Vororthaus dauerte sechs Stunden. Kurz nach acht Uhr abends, an einem warmen Donnerstag Ende Januar waren die fünf Männer lautlos in das Haus der Le Roux' eingedrungen, wo Leon und Gina für diesen Abend zu Besuch waren. Sie fesselten die drei Erwachsenen und forderten Gewehre, Juwelen und Geld. Doch damit waren sie nicht zufrieden. Während vier von ihnen verschwanden, um mit den gestohlenen Bankkarten die Konten der Besitzer abzuräumen, blieb einer zurück. Er war es vermutlich, der die jungen Frauen vergewaltigte. Während der Tat blieben sie beide still, um das völlig verstörte Kind nicht noch mehr zu gefährden. Erst weit nach Mitternacht verschwand auch der fünfte Täter – spurlos. Die beiden Familien entschlossen sich, ihren Fall publik zu machen.
In einem Land, in dem tagtäglich über ungezählte Gewaltverbrechen berichtet wird, rangierte das Thema Vergewaltigung bisher in der öffentlichen Wahrnehmung weit hinter Mord, Raub und Auto- Hijacking. Doch seit Anfang diesen Jahres häufen sich vor allem in den weißen Vororten von Johannesburg die Greuelgeschichten über ganze Gangs, die Mädchen und junge Frauen – meist in Anwesenheit ihrer Familien – reihum vergewaltigen. Die Täter sind nach der Beschreibung der Opfer meist schwarz. Eine Mutter, deren beide Töchter Anfang Januar in ihrem Beisein mehrmals vergewaltigt worden waren, trat die Flucht nach vorn an. Schwer traumatisiert und sichtlich unter Beruhigungstabletten stehend, forderte sie in mehreren Fernsehauftritten Polizei und Regierung auf, endlich etwas zu tun.
Die Polizei stand unter Druck, verhaftete rasch einen Verdächtigen – allerdings den falschen und ausgerechnet den Bruder des bekannten Künstlers Soli Philander. Wieder einmal ergossen sich Hohn und Spott über die Ermittler, deren Ansehen ohnehin nicht sehr groß ist. Es kam noch schlimmer.
In Kapstadt mußte ein Polizist von den Ermittlungen in einem weiteren prominenten Fall suspendiert werden, weil er selbst schon mal wegen einer Vergewaltigung angeklagt worden war. Dort war, ungewöhnlich genug, eine schwarze Frau an die Öffentlichkeit gegangen. Nombosino Gasa ist nicht irgendwer: Sie ist eine der Kandidatinnen für eine in der neuen Verfassung garantierte Kommission, die sich mit Geschlechterfragen befassen soll. Außerdem ist mit dem prominenten ANC-Abgeordneten Raymond Suttner verheiratet. Gasa ist auf der ehemaligen Gefängnisinsel Robben Island vergewaltigt worden – angeblich von einem Weißen.
Jetzt steht das Thema Vergewaltigung auf Platz eins in der öffentlichen Debatte. Dabei ist das Phänomen nicht neu: Vor allem in den schwarzen Townships waren die Vergewaltigungszahlen schon immer sehr hoch. Nur gesprochen wurde darüber nicht. In allen südafrikanischen Gesellschaftsgruppen gilt Vergewaltigung ohnehin als Kavaliersdelikt. Die Opfer sind meist minderjährig, die Täter sind in fast der Hälfte aller Fälle Familienmitglieder oder gute Bekannte. Neueren Untersuchungen zufolge wird in den Townships kaum ein Mädchen erwachsen, ohne mindestens einmal vergewaltigt worden zu sein.
Nach einer neuen Interpol- Erhebung für das Jahr 1994 hat Südafrika die höchsten Vergewaltigungsraten der Welt. Auf 1.000 Menschen kommt eine angezeigte Vergewaltigung. Das ist dreimal höher als in den USA und zwölfmal höher als in Deutschland. Und es werden immer mehr: 1994 wurden der Polizei 32.107 Fälle gemeldet, 1995 waren es bereits 36.888. Auf einen angezeigten Fall allerdings, so schätzen Menschenrechtsorganisationen, kommen 20 bis 35 nicht angezeigte. Folgt man dieser Annahme, so wird statistisch gesehen in Südafrika alle 80 Sekunden eine Frau vergewaltigt.
Grund genug, drastische Strafen zu fordern, finden viele Frauen. Die Mutter der beiden vergewaltigen Mädchen in Johannesburg hat eine Bürgerinitiative gegründet: „Operation Camelot“ sammelt Unterschriften für die Kastration der Täter und die Todesstrafe. Die ist in Südafrika erst vor zwei Jahren abgeschafft worden, und Präsident Nelson Mandela ist ein entschiedener Gegner ihrer Wiedereinführung. Beunruhigend sind solche Bewegungen für die Regierung dennoch, stoßen sie doch, ähnlich wie die muslimische Bürgerwehr „Pagad“, am Kap auf große Sympathien in der Bevölkerung. Polizei und Justiz traut man auch im demokratischen Südafrika kaum etwas zu.
Die Organisation „People Opposing Women Abuse“ (Powa) in Johannesburg berichtet von zahllosen Fällen, wo die Opfer von der Polizei verhöhnt und schlimmstenfalls erneut vergewaltigt wurden. In vielen ländlichen Gebieten sind die Opfer so eingeschüchtert, daß sie gar nicht erst zur Polizei gehen, die dann auch häufig sehr weit weg ist. Doch selbst bei einer Anzeige ist die Chance nicht sehr groß, daß es in Südafrikas überlasteten und ineffizienten Justizsystem tatsächlich zu einer Verurteilung kommt. Mutmaßliche Täter laufen meist wenige Tage später gegen Kaution wieder frei herum. Justizminister Dullah Omar, wegen der laschen Kautionsregelung immer wieder scharf kritisiert, erwägt derzeit die Einführung einer Mindeststrafe für Gewaltverbrechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen