piwik no script img

Atonaler Schönklang

Diese Musikbox lebt: Die 16. Musik-Biennale mit Siebziger-Jahre-Retrospektive und 22 Uraufführungen auf der Suche nach der neuen Form  ■ Von Frank Hilberg

Was ist das denn? Vollbesetzter Saal, ein Trompetenkonzert ist angekündigt, und weit und breit kein Musiker zu sehen? Und doch hebt der Saal zu singen an, und aus der Ferne wehen Klänge her. Die Uraufführung der neuesten Komposition von Benedict Mason steht – zusammen mit einem Orchesterstück von Isabel Mundry – auf dem Programm des Eröffnungskonzerts der 16. Musik-Biennale (heute, 20 Uhr, Sendesaal SFB).

Kontrapunktiert sind die beiden Jetztlinge durch ein bombastisches Stück von Xenakis und ein etwas gemäßigteres von Friedrich Schenker. Und damit ist das Konzept der Musik-Biennale in etwa markiert: Geschichte und Gegenwart der Neuen Musik in Ost und West. Festivalleiterin Heike Hoffmann: „Das Konzept der Retrospektive entstand aus dem Bedürfnis, den Erfahrungshintergrund von Ost- und Westhörern auszugleichen. Die musikalische Szene hat sich in den vierzig Jahren Trennung weitgehend unabhängig voneinander entwickelt, und so herrschte nach der Wiedervereinigung erst einmal ein großes Wissensdefizit, was die historische Entwicklung der Musik betrifft. Dabei geht es uns darum, die gängigen Klischees durch ein differenzierteres Bild zu ersetzen.“

Das alle zwei Jahre stattfindende Festival hat sich inzwischen überregionale Bedeutung verschaffen können. Es gehört zu den letzten Bastionen Neuer Musik in Berlin und seiner weiteren Umgebung. Dieses Jahr werden die siebziger Jahre retrospektiv beleuchtet. Obwohl zwischen dem 7. und 16. März fast 30 Konzerte stattfinden, läßt sich mehr als ein Überblick über die Hauptströmungen nicht geben, zumal die Neunziger, mit 22 Uraufführungen, ebenfalls repräsentiert sein wollen.

Die Klangsprachen, die sich aus der Distanz des Kunstverständnisses ergeben, prasseln als Kontraste heftig aufeinander, was zu teilweise bizzaren Konstellationen führt, etwa wenn Mathias Spahlingers „Morendo“ auf den um atonalen Schönklang ringenden Siegfried Matthus und den bekennenden Nostalgiker Martin Smolka trifft (15. März, 19 Uhr, Konzerthaus). Das ungeglättete Nebeneinander auseinanderstrebender Ästhetiken mag im Einzelfall grob wirken, aber letztlich – varias delectat – ist ein bunter Stilmix allemal besser als monothematische Gleichförmigkeit.

Ein Festival tut ohnehin gut daran, neue Präsentationsformen zu finden, um nicht mit der Stammklientel zu altern und im Konzerteabspulen zu erstarren. Eine Idee ist da die „Music box“ des Ensemble L'Art pour L'Art, die in einem recht schlichten Versuchsaufbau besteht, der ganz aparte Ergebnisse liefern könnte: Fünf in einem Gehäuse zusammengepferchte Musiker spielen auf Knopfdruck kurze Stücke. Ein seltener Berührungspunkt von Avantgarde und Volkstümlichkeit. Bleibt zu hoffen, daß nicht ein manischer Fan den Finger am Knopf und die Tasche voller Kleingeld hat (15. März, 16 Uhr, Hamburger Bahnhof).

Gleich morgen erdröhnt in der Kulturbrauerei das Projekt „XenophoniX“ von Stefan Winkler und dem Kammerensemble Neue Musik Berlin, mit dem wohl die Jugend gewonnen und der notorische Konzertsaalstillsitzer in Tanzbewegung versetzt werden soll. Ob die gegenseitige Befruchtung von „Techno und avantgardistischer Kammermusik“ nicht etwa zur künstlichen Besamung gerät, wird wohl nur von Lederohrigen entschieden werden können. Für die Liebhaber der technischen Musik läuft eine vielversprechende Schiene in der Neuen Nationalgalerie (10./11., 13./14.3. ab 21.30 Uhr), wo der Fleischundblutschlagzeuger Jean Pierre Drouet auf Musikmaschinen von Claudine Brahem konzertiert. Es schließen sich Programme mit Stücken für Solisten und Tonband, Live-Elektronik oder Computer an, etwa eines von Michael Waisvisz, der „The Clove“ entwickelt hat, einen Datenhandschuh zur Real-Time- Steuerung, bei dem Gestik und Tanzbewegungen Synthesizerklänge freisetzen: der Mensch als Ganzkörpercomputermaus.

Bleibt noch die unvermeidliche Frage nach den Finanzierungsproblemen. Die 16. Musik-Biennale gehört mitnichten zu den Prestigeprojekten, die hauptstadtimagemäßig aus dem vollen schöpfen können. Heike Hoffmann: „Was die Finanzierung betrifft, gleicht unsere Unternehmung einem Ritt über den Bodensee. Denn einerseits brauchen die großen Projekte drei Jahre Vorlaufzeit, andererseits kommen die finanziellen Zusagen erst in letzter Minute. Um das schwindende Budget auszugleichen, treten wir, wo immer möglich, in Koproduktion mit anderen Orchestern und Instituten, so daß die Kosten für Miete und Orchesterhonorare aufgefangen werden können. Die Produktionskosten, Solistenhonorare usw. bilden aber nicht weiter zu verschiebende Grenzen.“

Die benötigten 1,6 Millionen kommen aus dem Hauptstadtkulturfonds, der Stiftung Kulturfonds, einer französischen Assoziation, und eine Kleinigkeit kommt von Sponsoren.

Sehr schätzens- und lobenswert ist die soziokulturelle Maßnahme der Einrichtung eines Biennale- Passes, der für 80 Mark Eintritt zu allen Konzerten verschafft und darüber hinaus übertragbar ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen