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Blinder Passagier schnell verschifft

■ Sierraleoner wurde ohne Asylverfahren weggeschickt / „Mit Anwalt wäre das nicht passiert“

Bevor das Frachtschiff „City of Lomé“am Montag kurz vor Mitternacht im Neustädter Hafen ablegte, setzte ein Passagier einen dringenden Hilferuf ab. Vergebens. Der Sierra Leonese Abdou Kanu, am Samstag als Blinder Passagier in Bremen entdeckt, wurde von der Polizei an Bord gezwungen. Jetzt ist Abdou Kanu auf dem Weg zurück nach Hause. Seine Bitte um Hilfe und um politisches Asyl, die er noch kurz vor seiner Ausweisung an die Bremer Juristin Christine Graebsch richtete, blieb ohne Erfolg. Dabei hatte die Juristin mit dem ersten Staatsexamen, zugleich Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen, bis Minuten vor der Ausweisung versucht einzugreifen. Doch selbst die Intervention eines von ihr alarmierten Rechtsanwalts blieb ohne Erfolg.

„Der Mann schien sehr verzweifelt“, rekapituliert Christine Graebsch ihre Begegnung mit dem ungefähr 25jährigen Westafrikaner am Montag. Im Polizeigewahrsam habe sich Abdou Kanu an sie gewendet. „Seine ersten Worte waren, er sei in Sierra Leone politisch verfolgt und wolle daher in Deutschland bleiben“, faßte Graebsch später in einem Gedächtnisprotokoll zusammen. Weil Graebsch den Worten des Afrikaners aber nicht entnehmen konnte, auf welchem Stand dessen – vermeintliches – Asylverfahren war, wendete die Frau sich an den stellvertretenden Leiter des Polizeigewahrsams. Dieser aber habe Einsicht in den Haftbeschluß mit Hinweis auf die Wasserschutzpolizei verweigert, berichtet sie. Auch habe er nicht gewußt, wann Kanu ausreisen würde.

Erst gegen 21 Uhr des selben Tages erfuhr Graebsch durch einen Anruf bei der Wasserschutzpolizei die tatsächliche Planung: Der Westafrikaner sollte eine Stunde später mit einem Frachter auslaufen. Daraufhin rief Christine Graebsch verzweifelt einen Rechtsanwalt an. Zu spät, erklärte Anwalt Thomas Holle gegenüber der taz. Nur tagsüber wäre eine gerichtliche Intervention mäglich gewesen. „Per Eilantrag wäre dieser Fall wohl nicht so ausgegangen. Das ist bitter.“Warum die junge Juristin, die als Mitglied des Vereins für Rechtshilfe Abschiebehäftlinge in Rechtsfragen berät, keinen Einblick in den Haftbeschluß bekam, ist für Holle ein Rätsel. Dann wäre doch trotz aller Verständigungsschwierigkeiten zwischen ihr und dem Afrikaner klar geworden, daß dieser nach der Rechtslage nicht als Asylbewerber galt – obwohl er selbst davon ausging. Daraus hätten sich die entsprechenden rechtlichen Schritte ergeben. Der zuständige Beamte war gestern bis Redaktionsschluß für eine Stellungnahme nicht mehr zu ereichen.

Aus der Sicht der Wasserschutzpolizei ist die Empörung bei Bremer Asylgruppen über die schnelle Ausweisung kaum zu verstehen: Als der Mann als „Einschleicher“auf dem Schiff aus Westafrika entdeckt worden sei, habe man ihn vorschriftsgemäß befragt, schildert der Chef der Wasserschutzpolizei, Heiko Lauterbach, den Vorfall. Dabei nehme die Wasserschutzpolizei zugleich Grenzschutzaufgaben wahr. „Wir müssen prüfen, warum der Mann kommt.“Bei der Befragung habe Abdou Kanu allerdings nicht von politischer Verfolgung gesprochen. Vielmehr habe er gesagt, er wolle in Deutschland „ein besseres Leben“haben. Der Blinde Passagier, einer von jährlich rund 150 in Bremischen Häfen, sei sogar einem Richter vorgeführt worden. „Aber auch da hat er offenbar nicht von Asyl gesprochen.“Sonst wäre er nicht ohne Asylverfahren zurückgewiesen worden, so Lauterbach. Die Kritik von Juristin und Anwalt über abwertende Behandlung durch seine Beamten nimmt Lauterbach ernst. Äußerungen, wie „man kenne ja die Spiele der Anwälte“, die beide beklagt hatten, seien „nicht in Ordnung“. ede

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