: “Ich will was verändern, und Ihr kotzt!“
■ SPD-Landeschef und Partei-Psychiater Jörg Kuhbier diskutiert mit frustrierten Ex-Reformern über Menetekel, Medien und Münchhausen / Es lauschte aufmerksam Florian Marten
“Ich komm mir vor wie der Parteipsychiater. Ich komme, weil ich etwas verändern will, und ihr kotzt Euch einfach alle aus.“ Tatsächlich, der brave SPD-Parteichef Jörg Kuhbier, angetreten, die krisendurchseuchte Hamburger SPD vor dem Untergang zu bewahren, hatte am Montagabend in der Parteizentrale beim Gespräch mit dem Ex-Reformer-Braintrust der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer JuristInnen (ASJ) einen unerwartet schweren Stand. Gekommen, um aus dem Fragezeichen des Veranstaltungsmottos „SPD im Aufbruch?“ ein Ausrufezeichen zu machen und Hilfstruppen für den Reform-SPD-Parteitag am 25. März zu sammeln, sah sich Kuhbier mit einem schütteren Haufen von gerade noch 13 AsJlern konfrontiert, die offensichtlich nur eins im Sinn hatten – dem Parteichef Einblick in ihren Frust zu gewähren.
Angestachelt dazu hatte sie freilich gleich zu Beginn der gute Jörg, der ein tiefschwarzes Bild von den Perspektiven der Partei malte. Hessen, so referierte er eine frische Menetekel-Analyse des Bundesvorstandes, habe eine dramatische Stimmungslage des Großstadtwahlvolks demonstriert. In Frankfurt beispielsweise, wo die SPD nur noch Sympathiewerte von gerade mal 15, die Grünen aber bereits von fast 50 Prozent erreichten, liegen SPD und Grüne mit je knapp 30 Prozent Stimmenanteil fast schon gleichauf. „So weit ist es in Hamburg noch nicht“, dämpfte der Parteichef Pessimismus, aber: „Das sollte uns eine dramatische Warnung sein.“
Kuhbier glaubt fest an Münchhausens altbewährtes Rezept: „Wir können uns selbst aus dem Sumpf ziehen.“ Seine Variante lautet: Reform diskutieren, der SPD am 25. März ein neues Leitbild verpassen und anschließend in drei Handlungsschwerpunkten loslegen: Zukunft der Arbeit, Sozialstaat, soziale Großstadtstrategie.
Die Kritik aus dem rechten Lager am linken, zentralistisch gesonnenen „Funktionärskörper“, am Wochenende durch ein „Reformpapier“ der SPD-Betontiger des Bezirks Mitte in die Medien gepusht, läßt Kuhbier kalt: „Diese Beteiligung an der Diskussion habe ich mir gewünscht.“ Was ihm allerdings mißfiel, war das „Getöse in den Medien“. Dies nährte wieder mal einen Verdacht, den er mit vielen Sozis teilt: Böse Schreiberlinge und Sender betreiben den Niedergang der SPD. Kuhbiers Geheimwaffe: „Wir brauchen ein Kommunikationssystem innerhalb der Partei.“ Eine Art rote hanseatische Datenautobahn soll per Mailbox und Faxrundsendungen die schrumpfende SPD-Schar argumentativ-moralisch festigen – „die Sprachlosigkeit beenden“.
Die 13 AsJler, darunter zwei Frauen, hörten es wohl, allein es fehlte der Glaube: „Wir erleben fortwährend ein Auseinanderklaffen zwischen Wort und Tat, das nicht mehr vermittelbar ist.“ Die verbitterten AsJler, von denen viele sich vor sechs Jahren kräftig in eine Reformdebatte eingemischt hatten, die umgehend von Voscherau & Co mittels einer geschickten Gegen- und Rufmordkampagne inklusive der Verhinderung des parteiinternen Aufstiegs von Reformern im Keim erstickt wurde, hatten an diesem verregneten Februarabend offenkundig keine Lust, das alte Spiel noch einmal zu spielen.
Fast hätte das sogar dem Schnellfeuerplauderer Kuhbier die Sprache verschlagen. Doch dann raffte er sich noch einmal mutig auf. Sein Wort zum Dienstag: „Ich weiß, viele neue Ansätze stoßen in der Partei erstmal auf eine Betonwand. Ich bügle Euch aber nicht ab. Macht mit! Laßt mich nicht allein!“
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