piwik no script img

Niemand fühlt sich zuständig

■ Betreuung in Abschiebe-Gewahrsam fehlt / Grüne: Senat log

Die Grüne Sozialpolitikerin Caroline Linnert ist entnervt. Seit Wochen hält der Streit um die Versorgung von Abschiebehäftlingen an. Auf Linnerts Initiative hin geht deshalb eine Anfrage an den Senat über die Betreuung von Abschiebehäftlingen. Darin wird die mangelhafte Versorgung von Abschiebehäftlingen thematisiert – und das nicht zum ersten Mal. Wiederholt sei es zu verspäteter Taschengeldauszahlung an die Häftlinge gekommen, stellt Linnert fest. Selbst wenn die wöchentlich 10,85 Mark im Vertretungsfall für die beispielsweise erkrankte Betreuerin ausgezahlt würden, könnten die Häftlinge damit nichts anfangen. Denn diese Vertretungsperson erledige für die Häftlinge keine Besorgungen. „Ich fühle mich belogen“, sagt deshalb die Politikerin. Die letzten Auskünfte des Senats hätten Betreuung vesprochen – stünden aber im krassen Widerspruch zur Realität. Jetzt will Linnert dafür eine Erklärung. Die soll sie am Mittwoch in der Fragestunde der Bürgerschaft erhalten.

Unterdessen bestätigt auch die Asylgruppe Ostertor, daß sie sich nicht als ehrenamtliche Einkäufer für die Sozialbehörde hergeben wolle. So gesehen habe die Antwort des Senats, in der das Gegenteil gestanden hatte, nie gestimmt. Auch weist die Gruppe auf neue Mängel und ständige Klagen hin. „Wer Tee oder Kaffee braucht, wer raucht oder aus religiösen Gründen seine Ernährung ergänzen muß, bekommt so lange keine Chance zum Einkaufen, bis die Betreuungskraft gesund ist. Das geht doch nicht“, sagt Ghislaine Valther von der Asylgruppe Ostertor. Zwar geben Polizeibeamten jetzt die wichtigen Telefonkarten aus. Aber einem algerischen Häftling, mittellos und ohne Angehörige, habe man kürzlich das Taschengeld drei Wochen lang verweigert. Aberwitzige Begründung: Er habe darauf keinen Anspruch, weil er aus Bremerhaven sei – als hätte er selbst die Inhaftierung in Oslebshausen gewählt. Bilanz von Asylgruppe und Grünen: Seit der letzten öffentlichen Stellungnahme der Sozialbehörde habe sich für die Häftlinge so gut wie nichts geändert. Insgesamt seien die – überwiegend männlichen – Inhaftierten im Polizeigewahrsam sogar schlechter versorgt als Häftlinge im Blockland oder Oslebshausen. Dabei seien sie lediglich ausreisepflichtig.

In anderen Städten haben die Behörden nach Verzweiflungstaten unterdessen die Bedeutung einer Betreuung in Abschiebehaft erkannt. So wurde in Magdeburg ein Sozialarbeiter eigens für die psychosoziale Betreuung der Inhaftierten eingestellt. Man habe mit der Humanisierung der Haft eine „Beruhigung“festgestellt, resümiert die sachsen-anhaltinische Justiz-Ministerialrätin Erika Schmidt. Sinnvoll sei auch, daß der afrikanische Sozialpsychologe bei einem freien Träger angestellt sei.

Für Bremen stehen derartige Verbesserungen noch lange nicht an. Man bemühe sich allerdings, nach Auslaufen der jetzigen Betreuungsstelle im Mai eine Anschlußstelle bei einem freien Träger anzusiedeln, bestätigte Holger Bruns-Kösters, Sprecher der Sozialbehörde. Dort kommt man sich mit dieser Haltung schon relativ großzügig vor – denn schließlich sei der Vollzug eigentlich eine Angelegenheit des Justiz-Ressorts. Von dort werde die Karte aber weitergeschoben – weil die Abschiebehaft rechtlich der Polizei und damit dem Innenressort zuzuordnen sei, müsse man eigentlich dort handeln. Unterdessen meint die Polizei, bei Klagen sei „wirklich das Sozialamt anzusprechen.“

Die Grünen wollen den Polizeigewahrsam mit einer Delegation aus PolitikerInnen und RechtsanwältInnen besuchen, kündigt Caroline Linnert an. Die Inhaftierten werden in ihrer Hilflosigkeit derweil weiterhin alle möglichen AnwältInnen und Organisationen mit Hilferufen bombardieren. Die gehen neuerdings auch beim Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung ein. Ein ihm unbekannter Kurde habe mit einer geliehenen Telefonkarte angerufen. Er habe keinen Pfennig mehr und brauche Hilfe, berichtet BIZ-Mitarbeiter Andreas Noack. „Da müssen ja Zustände herrschen.“ ede

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen