: Schlachterei mit Selbstentzündung
■ Amtsgericht verurteilt Öko-Metzger / Letzter Brandsatz selbst gelegt (s. auch S.4)
So massiv ist Bremen in den letzten Jahren nicht mehr durch die Medien gezerrt worden – vom Vulkan vielleicht mal abgesehen – und das mit einer höchst skurrilen Geschichte: Im Schatten der traditionellen Silvester-Randale zum Jahreswechsel 1994/95, als Ortsamtsleiter Robert Bücking beim Krawall am Sielwall eine Flasche über den Schädel bekam, zog ein Veganer-Rollkommando durchs Viertel. Und schmiß die Schaufensterscheiben von fünf Schlachterläden ein. Und zerdepperte beim Öko-Fleischer Matthias Groth gleich noch die halbe Inneneinrichtung.
Hard-core-Vegetarier gegen einen Öko-Schlachter – für die Medienszene wie die Klingel für den Pawlowschen Hund. Vorneweg die taz, die die Geschichte vom Terror gegen die Wursthändler aufgegabelt hatte. Schon ein halbes Jahr vor dem großen Krawall hatte es den ersten Bericht gegeben. Schon da war Groth mit Schmierereien an der Ladenfassade, Vandalismus an seinem Transporter und Drohanrufen drangsaliert worden: „Schlachter stirb!“Und nun ist das Opfer Groth zum Täter mutiert – wenn man der richterlichen Logik folgt. Gestern hat das Bremer Amtsgericht den Schlachter zu einer Geldstrafe von 1.500 Mark verurteilt. Wegen „Vortäuschung einer Straftat“. Groth, so das Urteil, hat den letzten Brandsatz in seinem Laden gut zehn Monate nach der Silvesterrandale selbst gelegt.
Es war ein Indizienprozeß um eine Geschichte, an Skurrilität ganz in der Tradition der Veganer-Angriffe (Einzelheiten auf Seite 4). Ein Prozeß, bei dem am Ende die Gewißheit der Richterin stand: Groth muß es selbst gewesen sein. Jeden anderen Täter hätte der Schlachter sehen müssen, als er, von einem Knall aufgeschreckt, in den Laden gegangen war und das Feuer gelöscht hatte. Groth bleibt bei seiner Version, getreu der Auffassung seines Anwalts: „Es gibt viele Merkwürdigkeiten, die sich nie aufklären lassen.“Merkwürdigkeiten gab es in Groths Geschichte zuhauf. Bis hin zu seiner Aussage, er sei doch gar nicht versichert gewesen, warum also hätte er seinen Laden abfackeln sollen. Da zog der Staatsanwalt eine Schadensmeldung aus der Tasche, die noch am Tag der Tat telefonisch bei der Allianz-Versicherung eingegangen war: „Ich wachte auf, als ich einen Knall hörte...“Groth dazu: „Also, ich hab nicht angerufen.“Und blieb dabei.
Eine Geschichte, ein Urteil, das viele Fragezeichen hinterläßt. Nicht nur die Fragezeichen, die immer hinter einem Indizienprozeß stehen, zum Beispiel das hinter der Suche nach dem Tatmotiv. Wenn das Opfer zum Täter wird, dann erscheinen plötzlich alle vorherigen Taten im Zwielicht. Wie war das noch, damals, an Silvester? Da sind doch auch keine Täter ermittelt worden? Da hilft nur prozessuale Trennschärfe – und ein Blick ins Zietungsarchiv. Um die Silvesterkrawalle ist es beim Prozeß in keiner Sekunde gegangen. Und als damals die taz zur Diskussion über die Randale geladen hatte, da trauten sich einige, Klartext zu reden: „Wer sein beschissenes Geld mit dem Tiermord verdient, hat das Recht verwirkt, sich über eingeschmissene Scheiben aufzuregen.“Das beschissene Geld hat Groth im Februar letzten Jahres zur Aufgabe gezwungen: Der Schaden aus der Neujahrsnacht hatte bei 26.000 Mark gelegen. Und die Versicherung bezahlte nicht.
J.G.
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