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Inzest, aber gut gemacht

Geliebtes Haßfernsehen: Als ob einem der Regisseur nach jedem „Cut“ wissend zuzwinkert. Eine „Verbotene Liebe“(s)-Erklärung  ■ Von Christoph Schultheis

Irgendwann kaufte ich mir beim türkischen Gebrauchtgerätehändler für wenig Geld einen Videorekorder.

„Verbotene Liebe“ blöd zu finden, ist unoriginell; sich für „Verbotene Liebe“ zu begeistern, peinlich. „Verbotene Liebe“ anschauen, ist wie Pornos ausleihen: Man tut's aus einer fixen Idee heraus, weder zum ersten noch zum letzten Mal, und nicht zum Drüberreden, sondern zum Gucken.

Deswegen der Rekorderkauf. Wer kann (und will) sich schon jeden Tag zur selben Zeit vor den Fernseher setzen, nur um seine Lieblingssendung zu sehen? Täglich wird das Band neu überspielt, und nur in Ausnahmefällen üben meine Freundin und ich uns auch schon mal eine Woche in Verzicht und genießen anschließend abendfüllende 5 Folgen am Stück, verdünnt mit reichlich Whiskey Sour, versüßt mit einer Tüte von „Hussel“. „Na?“ fragt meine Freundin im Abspann vor der 4. Sour-Pause mit dem Finger auf der Stop-Taste; „Och“, sage ich. Und nach gut zwei Stunden sagen wir „Schade!“ und „Gott sei Dank!“ zugleich.

Doch daß wir uns täglich 25 Minuten lang eine gutes Dutzend flachbrüstige Jungdarstellerinnen und flachbrüstige Jungsdarsteller anschauen, hat mit Gewohnheit, Ritual und Sucht wenig zu tun. Und „Verbotene Liebe“ als besser gemacht zu bezeichnen, wäre reine Selbstdenunziation.

„,Verbotene Liebe‘ / geht direkt in dein Herz / und deine Seele / verliert die Kontrolle ...“ dichteten einst Hermut Frey und Curtis Briggs in unverfänglichem Englisch. Doch ganz so einfach, wie der Titelsongtext uns weismachen will, ist es natürlich nicht: Wo „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Unter uns“ und „Alle zusammen, jeder für sich“ ihr unentschlossenes comme ci comme ça schon im Titel als Sammelbecken für allerlei Allerweltstopoi verkaufen und „Marienhof“ nicht nur in der Namensgebung der „Lindenstraße“-Epigonie verfällt, ist bei „Verbotene Liebe“ die verbotene Liebe von Anfang an Programm und „Wer mit wem und warum nicht?“ die oberste Direktive: der Vater mit der Freundin der Tochter, der Sohn mit der Witwe des Vaters, der Homosexuelle und seine heterosexuelle Freundin im à troi-Experiment mit dem bisexuellen Hansdampf – und natürlich: Brüderchen mit Schwesterchen. Wie kühn, den Endlosloop einer Soap ausgerechnet auf einem inzestuösen Techtelmechtel zu gründen! Off screen ist „Verbotene Liebe“ eben ein nimmerendenwollender Softporno.

Sicherlich finden das auch die Autoren, Storyliner und Script Editoren, ja, alle am Projekt „Verbotene Liebe“ Beteiligten. Warum sonst sollte mir die Mattscheibe beständig zulächeln, wenn sie mir beim Zuschauen zuschaut: In taktisch-praktischer Anwendung des Brechtschen V-Effekts wird hier nicht nur Schmalspurbegabung und schmales Budget kaschiert, sondern zugleich auch der allgegenwärtige Vorwurf der Banalität in transparente Mitwisserschaft verwandelt. „Verbotene Liebe“ anschauen heißt dem Resultat des Drehtages zuschauen, dem Ge- und Mißlingen des Cliffhangers, dem (un-)geschickten Debüt einer neuen Figur, einer neuen Handlung und deren Inszenierung. Und wo ich bei „GZSZ“ et al. tatsächlich nur die vielgeschmähten Pappmachékulissen sehe, hat mir „Verbotene Liebe“ in kleinen Lettern ein na und? draufgekritzelt; wo dort hölzerne Dialoge eine dramaturgisch wertlose Handlung vorantreiben, sehe ich hier, wie man mir – nach dem „Cut!“ – kurz zuzwinkert. Andere Soaps sind Soap, „Verbotene Liebe“ ist So-als-Ob – als ließen ihre Macher die Bravo Girl- und Allegra-Hefte, aus denen sie ihre Storylines rekrutieren, aufgeschlagen im Bildhintergrund herumliegen.

Den blöden Tim blöd, den öden Rajan öde und die x-te Blümchensexversöhnung zwischen der frühzeitig vergreisten Anna mit ihrem Vorzeigepädagogen so wonniglich widerlich zu finden, ermüdet nur deshalb nicht, weil man den Eindruck nicht loswird, die für die ganze Öd- und Blödheit Verantwortlichen sähen das genauso.

Das alles wäre ja schon Grund genug, den Rekorder täglich auf 17.55 Uhr zu programmieren und eben nicht auf 17.30 Uhr, 18.25 Uhr, 19 Uhr, oder 19.40 Uhr. Letztlich ausschlaggebend für die Entscheidung, immer wieder einzuschalten, aber ist – Julia. Julia von Anstetten, kongenial verkörpert durch Valerie Niehaus, die als allerbeliebteste Serienschauspielerin Deutschlands laut „Bravo TV“ sogar Pamela Anderson um Längen schlägt. Julias gekünstelte Trivialrhethorik, ihre patzige Selbstzufriedenheit, ihre Kitschigkeit in rosé und bleu und allen Lebenslagen nervt – und fasziniert: Unglaublich, wie präzise diese Inkarnation eines durch und durch ekligen Lebensentwurfes in Szene gesetzt wird! Noch schlimmer als ihre Präsenz ist jedoch das mulmige Gefühl, das mich immer dann beschleicht, wenn ich erkennen muß, daß Julia für diese oder jene Folge unabkömmlich ist. Sollte sie eines Tages für immer von der Bildfläche verschwinden, verschwände wohl auch die Bildfläche der „Verbotenen Liebe“ für immer von meinem TV-Gerät.

Letzten Freitag verschwand sie beim spektakulären Außendreh in den Fluten vor der Inzestinsel Lanzarote. Pünktlich um fünf vor sechs wird mein Rekorder deshalb auch heute abend wieder aufzeichnen. Zum letzten Mal? Möglich. Aber unwahrscheinlich.

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