: Nach dem Bombenattentat in Tel Aviv und den schweren Straßenschlachten zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten rechnen die jüdischen Siedler in Hebron jederzeit mit einer Eskalation. Unbeirrt feierten sie am Samstag ihr Faschingsf
Nach dem Bombenattentat in Tel Aviv und den schweren Straßenschlachten zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten rechnen die jüdischen Siedler in Hebron jederzeit mit einer Eskalation. Unbeirrt feierten sie am Samstag ihr Faschingsfest Purim. Viele Palästinenser sehen im Protest gegen die Siedlung Har Homa den Auftakt zu einem neuen Aufstand.
„Bei einer Intifada sind wir dabei“
„Der Messias wird kommen.“ Der bei religiösen Juden so beliebte Schlager dröhnt über Mauern und Stacheldraht fast bis zum Zentrum des arabischen Marktes. In der jüdischen Siedlung „Abraham Avinu“ (Abraham, unser Vater) im Herzen der Stadt Hebron wird Purim gefeiert. Rund 160 Leute, vor allem Kinder, kommen trotz winterlicher Regenstürme mit bunten Masken und Pappnasen in die von israelischen Soldaten streng bewachte kleine Trutzburg, um das jüdische Faschingsfest zu begehen.
Weder die jüngsten Unruhen in der Stadt, bei denen auch ein Siedlerkind verletzt worden war, noch das Bombenattentat am Wochenende in Tel Aviv, bei dem drei junge Frauen getötet und etwa 40 Personen verletzt wurden, tun der in der Siedlung herrschenden Hochstimmung Abbruch. „Warum sollten wir nicht feiern?“ fragt Noam Arnon, der Sprecher der Siedler aus Hebron. Schließlich seien in Tel Aviv und Jerusalem die Partys auch nicht abgesagt worden.
Doch die gute Laune in der Siedlung trügt. Vor den Mauern von „Abraham Avinu“ herrscht seit Tagen empfindliche Anspannung. Immer wieder schießen junge Palästinenser mit ihren Steinschleudern auf die israelischen Soldaten. Jederzeit kann es erneut zu Auseinandersetzungen und Verletzten kommen.
So geschehen am Vormittag in Bethlehem, wo zwei junge Demonstranten an der Grabstätte von Rachel mit den israelischen Sicherheitskräften aneinandergerieten und anschließend ärztlich versorgt werden mußten. Daß die Stadt Hebron zum Großteil bereits von palästinensischem Sicherheitspersonal kontrolliert wird, beruhigt die Siedler wenig. „Die palästinensischen Polizisten tun so, als würden sie versuchen, mögliche Unruhen zu verhindern“, meint Noam Arnon. Dabei seien auch und gerade sie es, „die die Gewalt provozieren“. Tatsächlich halten sich die palästinensischen Sicherheitskräfte auffallend zurück. Klar gegenüber stehen sich bei den Straßenschlachten in Hebron junge Demonstranten und israelische Soldaten.
Vorläufig beschränken sich die palästinensischen Jugendlichen auf den Einsatz von Steinschleudern, während die israelischen Soldaten mit Tränengas und Gummigeschossen reagieren. Einige der Jugendlichen sind bereits mit Gasmasken ausgerüstet und lassen sich von den Gas- und Rauchbomben nicht mehr einschüchtern. „In der kommenden Stufe werden sie versuchen, mit Waffen und scharfer Munition gegen uns vorzugehen“, fürchtet Arnon, der über geplante Gegenaktionen der Siedler nichts sagen will. „Wir verlassen uns auf unsere Soldaten.“
Tatsächlich sind die jüdischen Siedler von Hebron schwer bewaffnet. Daß es zu Schießereien zwischen Siedlern und Palästinenserpolizei kommen wird, scheint hier nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Auch auf dem umstrittenen Mauerberg, wo die neue Siedlung Har Homa im arabischen Teil Jerusalems entstehen soll, kam es am Wochenende erneut zu Unruhen. Etwa 200 Palästinenser, darunter ganz junge Kinder, versuchten gegen die israelische Armee anzugehen und einen Hügel zu erklimmen.
Der Protest auf dem Baugelände ist jedoch aussichtslos. Seit dem Attentat in Tel Aviv gehen die israelischen Sicherheitskräfte mit gnadenloser Schärfe, vor allem mit Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor. „Wie sollten wir hier etwas unternehmen?“ fragt Saher Abu-Teer aus dem arabischen Dorf Um Tuba, das unmittelbar an das Baugelände angrenzt. „Hier sind ständig Hunderte von Soldaten.“
Abu-Teer deutet auf das massenhafte Polizei- und Militäraufgebot. Das gesamte Gebiet ist seit dem ersten Tag der Bauarbeiten in Har Homa militärisch abgeriegelt. Etwa alle 50 bis 100 Meter stehen Kontrollen, die die Fußgänger mal nur nach Ausweisen fragen, mal auf Waffen untersuchen. „Wir dürfen unser eigenes Land schon nicht mehr betreten“, meint Abu-Teer. In seinem Dorf Um Tuba leben knapp 4.000 Menschen. Alle sind irgendwie verwandt miteinander und tragen denselben Familiennamen. Das Gebiet des Mauerbergs ist zum großen Teil Besitz der Familie gewesen, bevor man sie enteignet hat.
Saher Abu-Teer deutet auf ein gut gepflegtes Fußballfeld, das von den Bulldozern schon völlig zerfurcht worden ist. „Wir haben fünf Jahre lang den Rasen gegossen und gemäht, um dort spielen zu können.“ Der Widerstand der Palästinenser gegen die Maßnahmen der Regierung Netanjahu seien nicht länger von Entscheidungen der Führung im Gaza-Streifen abhängig, glaubt Abu-Teer. Was Arafat bestimmt, interessiere die Leute aus Um Tuba nicht. „Es wird eine neue Intifada geben, die genau wie damals nicht von oben geleitet wird, sondern eine spontane Reaktion des Volkes ist.“ Das Dorf Um Tuba habe sich während der sieben Jahre der Intifada aus allem herausgehalten, erklärt Abu-Teer. „Aber diesmal sind wir dabei.“ Susanne Knaul, Hebron
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