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Keine Zukunft mehr

Fern der Heimat bestreiten Albaniens Fußballer heute ihr Heimspiel gegen das deutsche Team  ■ Aus Granada Simon Thiel

Vor zwei Monaten noch war die Welt des 19jährigen Fußballers Kreshnik Zeka in Ordnung. Der Albaner war in der ersten Mannschaft von Partisani Tirana Stammspieler und verdiente 600 Mark im Monat, immerhin das Vier- bis Fünffache des in Albanien damals üblichen Lohnes. Seit dieser Zeit wurden die Gehälter jedoch nur noch spärlich oder gar nicht gezahlt, das Land versank im Chaos, und an Fußball beziehungsweise einen ordentlichen Ligabetrieb war nicht mehr zu denken.

„Der Fußball hat ziemlich verloren“, sagt Zeka resigniert, „wir haben dort keine Zukunft mehr.“ Mit „wir“ meint Zeka die albanische U 21-Auswahl, die seit vergangenem Freitag im spanischen Andalusien weilt, um dort ihre Qualifikationsspiele für die Europameisterschaft gegen die Ukraine und Deutschland zu bestreiten. Ebenso wie die albanische Nationalmannschaft, die in Gruppe 9 der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1998 mit einem Punkt das Schlußlicht bildet und heute abend gegen Europameister Deutschland antritt (19.30 Uhr, ARD). Aus Sicherheitsgründen hatte die Fifa entschieden, die Spiele ins Ausland zu verlegen, und Granada war die einzige Stadt, in der alle vier Spiele am gleichen Ort ausgetragen werden konnten. Die Spieler sind von dem Fifa-Beschluß verständlicherweise nicht begeistert. „Jeder von uns würde lieber in Albanien spielen“, sagt Altin Rraklli.

Ganz so existentiell wie der albanische Nachwuchs müssen sich die in Granada spielenden Profis nicht um ihre Zukunft sorgen. Nur drei des 21 Spieler zählenden Kaders kicken in Albanien. Doch auch die Profis leiden unter den Geschehnissen in der Heimat. So hatte die 0:1-Niederlage gegen die Ukraine neben sportlichen Gründen (Stürmer Rraklli: „der Druck aus dem Mittelfeld fehlte“) auch psychische. Anstatt sich nach Fehlpässen gegenseitig aufzumuntern, beschimpften sich die Spieler. „Es kann nicht jeder hier ruhig sein“, deutet Rraklli theatralisch auf sein Herz. Und betont gleichzeitig den Willen zur professionellen Einstellung: „Auf dem Platz konzentriere ich mich hundertprozentig auf den Fußball.“

„Wir sind hier, um Fußball zu spielen“, lautet auch die Maxime von Nationaltrainer Astrit Hafizi, doch er weiß ebenfalls: „Jeder ist im Kopf nicht ganz klar.“ Es wird diskutiert über die Situation im Heimatland, „aber am besten“, meint Hafizi, „wäre es, zu vergessen“. Es fehlt an Sicherheit im albanischen Team, logische Konsequenz aus den Sorgen um die Sicherheit der Angehörigen. Einfache Lösungen gibt es aber weder in Tirana noch in Granada. Zwar mahnte Hafizi für das Spiel gegen Deutschland zu mehr Freundlichkeit in der Mannschaft. Doch wie sich seine Botschaft „Wir müssen beweisen, daß der Fußball noch in den Herzen lebt“ in die Praxis umsetzen läßt, weiß auch er nicht.

Sportlich gesehen will er es gegen Deutschland mit einer offensiveren Aufstellung als gegen die Ukraine versuchen und neben Rraklli einen zweiten Stürmer aufbieten. „Gegen eine so kompakte Mannschaft wie Deutschland muß man offensiv spielen“, sagt er. Auch Hafizi ist es in den letzten Wochen schwergefallen, sich auf seine Arbeit als Trainer zu konzentrieren. Am 7. März war er im Auftrag der Uefa nach Malta geflogen, und als er am 14. März zurückkehren wollte, war der Flughafen von Tirana geschlossen. „Besser wäre ich dort und meine Familie hier“, sagt Hafizi.

Wirkliche Angst vor dem morgigen Heimflug (der Flughafen wurde inzwischen wieder geöffnet) hat wohl keiner der insgesamt 50 in Granada verweilenden Albaner. Allein der Wille fehlt manchen. Zumindest denjenigen, die glauben, daß das Chaos ihnen den Fußball und damit die Zukunft geraubt hat. „Unser Leben ist nicht sicher“, sagt Kreshnik Zeka und: „Fußball ist alles für uns – wir wollen in Spanien bleiben.“ Der spanische Fußballverband sei bereit zu helfen, und ansonsten will der Mittelfeldspieler einfach hoffen. Auf Kontakte, und darauf, daß „wir“ wirklich ungefähr 15 der 22 Spieler der U 21-Auswahl sind, die so denken wie er. Und wenn sie ihn einfach ins Flugzeug setzten? „Das wäre unfair, ich glaube nicht, daß die das machen würden.“

„Die“ wären die Spanier, doch auch der Vizepräsident des albanischen Fußballverbandes, Edvin Libohova, will von solchen Plänen der Nachwuchskräfte nichts wissen. „Ihre Pflicht ist, nach Hause zu fahren“, sagt er. Offizielle Kontakte mit dem spanischen Fußballverband gebe es keine, und auch Trainer Hafizi meint, daß es die Sache der Spieler sei, einen Vertrag zu finden, der zum Bleiben berechtigen würde. Überhaupt habe man über dieses Problem noch gar nicht geredet.

Die Funktionäre denken lieber an das saubere Image, danken dem spanischen Fußballverband für die Übernahme der Organisationskosten – und vergessen dabei, für wen sie eigentlich funktionieren sollten: für die Spieler.

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