piwik no script img

Auf Du und Du mit den SchaustellernEin Gesetz ist ein Gesetz

■ Schausteller wollen Bürgerweide für sich – per Bremer Ortsgesetz

Die Augen können sich am Sammelsurium des „River Boat“auf der Osterwiese einfach nicht satt sehen: Von der Decke des Zeltes baumeln Blumenkübel, aufblasbare Cola-Dosen, eine Plastik-Ketchup-Flasche. Die britische Fahne kaschiert einen Riß im Zeltdach und schützt die BesucherInnen vor Regen. Eine Büste von Marilyn Monroe ziert die Theke. Neben dem Tresen residieren in einem abgeteilten Raum mit Fenstern vermutlich die VIP's (an der Außenwand des Kastens warnt ein Schild: „Don't even think of parking here“). Auf dem Dach des Kastens zieht ein Junge mit Zipfelmütze die Blicke auf sich: Er sitzt auf dem Pißpott und streckt den Besuchern seinen nackten Hintern entgegen.

Dort, wo normalerweise die Live-Band deutsche Country-Schlager spielt, sitzen jetzt u.a. SPD-Fraktionschef Christian Weber, Anneliese Leinemann, die ehemalige Vize-Präsidentin der Bürgerschaft, Wolfgang Grotheer, SPD-Vorsitzender des Unterbezirks Bremen-Stadt und Wolfgang Ahrens, Marktmeister und Ewald Launspach, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen in der SPD (AGS), die die Politiker eingeladen hat. In der AGS sind auch Schau-steller organisiert. Sie wollen die Bürgerweide per Ortsgesetz gegen fremde Einflüsse schützen. Die SPD soll ihnen dabei helfen. Auf die Bürgerweide gehören die Schausteller, der Freimarkt, die Osterwiese und sonst gar nichts. Mit der einfachen Entschließung der Stadtbürgerschaft, in der CDU, SPD, AfB und Grüne ihnen genau das zugesichert haben, wollen sie sich nicht zufrieden geben. Politikern kann man nicht trauen. Große Worte und leere Versprechungen haben sie lange genug gehört.

„1991, als die SPD noch allein regierte, war alles geregelt, da hatten die Schausteller 100.000 Quadratmeter auf der Bürgerweide“, schwelgt Leinemann in Erinnerung an alte Zeiten. Doch schon der ehemalige Wirtschaftssenator Jäger (FDP) habe das Territorium der Schausteller mit Hilfe der Ampel angeknabbert und den Klangbogen gebaut.

Auch die Große Koalition treibe den Schau-stellern mit dem Bau der Messehallen die Sorgenfalten ins Gesicht, kritisiert Leinemann. Die SPD habe dem Klangbogen immer kritisch gegenüber gestanden, beeilt sich Grotheer zu erklären. „Keiner hat ihn gewollt, aber jetzt steht er doch da“, spottet Karl-Heinz Ferensen vom Landesverband der Bremer Schausteller, in dem rund 140 Personen organisiert sind. „Hinterher will immer niemand verantwortlich gewesen sein.“Ferensen hat schon häufiger die Reden von Politikern angehört. Jetzt will er es schwarz auf weiß gedruckt sehen: „Ein Gesetz ist ein Korsett, ein fester Rahmen. Den brauchen wir als Sicherheit.“Vor dem möglichen Konkurrenten Space-Park hat er keine Angst. Im Gegenteil: „Dann ist wieder eine große freie Fläche weg, auf die man uns schieben könnte.“„Der normale Schausteller muß für dieses Gesetz sein“, pflichtet ihm eine Schaustellerin bei. Auch Schausteller „Bernie“ist das „Hickhack der Parteien“leid und will ein Gesetz. Ein Ortsgesetz würde der Verwaltung nämlich verbieten, die Bürgerweide „zweckzuentfremden“.

Christian Weber, der – wie er betont – eine dreistündige Autofahrt in Kauf genommen hat, um bei den Schaustellern zu sein (er war über Ostern bei seiner Mutter im Westfälischen), hat für das Begehren Verständnis. Die Entschließung der Bürgerschaft sei ein wichtiges Signal, schließlich hätten alle Fraktionen zugestimmt. Doch dann verspricht es Weber den Schaustellern sogar: „Wenn Sie ein Ortsgesetz wollen, dann kämpfen wir für Sie.“ kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen