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Nur der Superjoker weist Qualität nach

Trotz des Hattricks von Einwechselspieler Ulf Kirsten: Beim mühsamen 3:2 gegen Albanien in der WM-Qualifikation deuten sich erneut die vagen Perspektiven des DFB-Teams an  ■ Aus Granada Simon Thiel

Eine halbe Stunde vor Spielbeginn hat sich die Bar El Pajuán, direkt gegenüber des Estadio Nuevo Los Carmenes in Granada, in eine deutsche Kneipe verwandelt. Gelächter, Prost, guten Abend! Noch ein bißchen lauter wird es, als ein Glas auf dem Boden zerschellt. „Das ist die Freude“, ruft die Wirtin und gießt ein neues Glas Weißwein ein. „Nette Leute sind das“, sagt sie, „die zahlen wenigstens, im Gegensatz zu manchen Andalusiern.“ Prima, damit kann nach dieser Spanienreise festgestellt werden: Das Imageproblem der deutschen Fußballfans im Ausland ist in Teilbereichen gelöst.

Das Image der deutschen Nationalmannschaft hat sich dagegen, zumindest in der ersten Stunde des nach Granada verlegten WM- Qualifikationsspiels gegen Albanien, nicht eben verbessert. „Wir wollten ein frühes Tor vorlegen“, sagte Kapitän Jürgen Klinsmann. Pustekuchen. Nach anfänglichen Scheinerfolgen (fünf Ecken in den ersten zehn Minuten) war man 50 Minuten lang ratlos gegen einen Abwehrriegel, bestehend aus fünf bis sechs Albanern, der sich vor dem Strafraum postierte und diesen hermetisch abriegelte.

„Wir haben unsere Räume nicht genutzt“, meinte Klinsmann später. Es hatte sich tatsächlich ein Loch zwischen Abwehr und Angriff aufgetan, das allein Libero Matthias Sammer ab und an durchquerte, doch auch er ohne nennenswerte Erfolge. Darius Wosz wirbelte im Mittelfeld umher, blieb aber ebenso wie der etwas lauffaulere Andreas Möller immer wieder in dieser Abwehrkette hängen.

Wenn man von Spielkultur reden will: die hatten die Albaner auch nicht, aber dafür deutlich mehr Lust, dem Ball nachzugehen und zu kämpfen. So mußte erst eine „mittlere Katastrophe“ (Möller) passieren, um die deutsche Mannschaft nach einer Stunde Ruhe aufzuwecken. Das Foul von Dieter Eilts an Altin Haxhi sah zwar nur Schiedrichter Piraux, doch Kola ließ sich davon wenig beeindrucken und verwandelte den fälligen Strafstoß zum 1:0.

„Es wäre für mich schöner gewesen, wenn die Albaner früher in Führung gegangen wären“, behauptete Berti Vogts. Hinterher. So mußte die deutsche Bank zwar etwas kürzer, dafür aber um so heftiger um den Sieg bangen. Den ermöglichte letztlich auch Andreas Köpke, der außer Elfmeter zu parieren das ganze Spiel über nichts zu tun hatte. Macht nichts, „wenn man gewinnt, geht das schon“, fand Köpke. Den ersten Strafstoß, von Hertha BSC Berlins Stürmer Altin Rraklli zu schwach geschossen, hielt er (15.). Der zweite (62.) entwischte ihm nur knapp, erst beim bedeutungslosen dritten (92., wiederum Kola) war er machtlos. Drei Elfmeter gegen eine Mannschaft in einem Spiel – das hatte noch niemand erlebt, darüber waren sich alle in der DFB-Auswahl einig. „Aber das haben wir zu akzeptieren“, sagte Vogts.

Ein Elfmeter war spielentscheidend, der zweite: Nach dem 0:1- Rückstand rüttelte nämlich ein Motivationsschub die deutsche Mannschaft durch. Pfostenschuß Möller, Ecke Möller, Kopfball Bierhoff, und der gerade für Eilts eingewechselte Kirsten mußte nur noch zum 1:1-Ausgleich einnicken. Erst ab diesem Zeitpunkt geschah das, was Vogts schon in der Halbzeit angemahnt hatte: Man spielte variabler und kam mit Hilfe des für Reuter gekommenen Jörg Heinrich nun bisweilen bis an die Torauslinie. Auch Ziege wurde auf der linken Seite effektiver und bereitete mit seinen Flanken die Tore zwei (80.) und drei (84.) vor.

„Ulf hat uns gerettet“, sagte Kapitän Klinsmann. Kollege Kirsten, der „Superjoker“ (Vogts), tat nach Betreten des Spielfelds umgehend das, was einen Stürmer auszeichnet: Er bewegte sich dorthin, wo der Ball auch hinkam – und machte so drei verdammt wichtige Tore. Daraus folgen: „drei verdammt wichtige Punkte“, wie Berti Vogts sagte, dem die Erleichterung ins Gesicht geschrieben stand. Diesmal ging es gegen den sieglosen Gruppenletzten gerade noch gut. Besseres Stellungsspiel sei vonnöten, findet der Bundestrainer, und auch mehr und längeres Engagement, wenn es am 30. dieses Monats in Bremen gegen Tabellenführer Ukraine geht. Realist Klinsmann sagt jetzt schon voraus, die WM-Qualifikation werde „ein Kampf bis zum letzten Spieltag“.

Währenddessen lobte der albanische Trainer Hafizi seine Verlierer für ihren Kampfgeist: „Wir haben die Qualitäten unseres Fußballs bewiesen“, sagte er. Wohl dem, der das ruhigen Gewissens sagen kann. Die Deutschen, so sieht es aus, sind davon so weit entfernt wie schon lange nicht mehr.

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