Wochen-Post
: Wir machen Geschichte oder: Gedenken in Sachsenhausen und den Ministergärten

■ Echte Ruinen, falsche Mahnmale und Denkorte, die dem Vergessen entrissen wurden. Das vielfältige Gedrängel der Berliner Orte und Symbole

Am kommenden Sonntag sollten alle diejenigen nach Oranienburg fahren, die in Berlin ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas oder ein Holocaust- Museum bauen möchten. In der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen wird eine Ausstellung über die Entstehungsgeschichte der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen“ eröffnet, und man wird sehen können, wie leicht es war, aus den tatsächlich vorhandenen Gebäuden und den geographischen und historischen Gegebenheiten eine antifaschistische Kultstätte zu machen.

Und man wird gleichzeitig sehen, wie schwer es ist, aus den realen Orten die Symbole fernzuhalten, die Geschichte angeblich erst sinnfällig machen.

Die Sachsenhausener Ausstellung reicht bis zum Jahre 1964, das heißt bis zur Gründung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte. Wie es bis in die heutigen Tage weiterging, kann man zum geringen Teil sogar sehen, doch müßte dies ebenfalls später einmal dokumentiert und ausgestellt werden. Denn man wird im Jahr 2010 in Warschau kaum glauben wollen, daß nach der Wende 1989 das Finanzamt Oranienburg dort arbeitete, wo die Konzentrationslager des Dritten Reichs zentral geplant wurden; man glaubt es jetzt schon kaum, wenn man davorsteht.

Andererseits: So wirkungsvoll ist kein Museum wie das Erlebnis, im Finanzamt zu stehen und zu merken, daß die Erde sich wirklich weiterdrehen konnte, als wäre nichts geschehen, auch an solchen Orten.

Die Gedenkstätte und ihre Geschichte als Mahnmal zeigt, wie schwer es selbst an den realen Schauplätzen ist, Geschichte zu dokumentieren. Ungleich schwerer noch ist es dann, wenn, wie in den Ministergärten hinter der Wilhelmstraße in Berlin, einem mehr oder weniger willkürlich ausgesuchten Platz, ein allumspannendes Mahnmal für die Untat des Jahrhunderts entstehen soll.

„Mahnen“ tun eigentlich die Stätten am eindrücklichsten, deren Geschichte erst verdrängt und überbaut, dann vergessen und schließlich durch Bürgerinitiativen wiederentdeckt wurden: die armselige Baracke in der Niederkirchnerstraße etwa, in der die „Topographie des Terrors“ auf dem Gelände gezeigt wird, auf dem die Geheime Staatspolizei arbeitete, oder die Brandmauer des Hauses in der Großen Hamburger Straße, auf der die Namen, Berufe und Lebensdaten der Menschen verzeichnet sind, die im zerbombten und nicht wiederaufgebauten Hinterhaus gelebt haben.

In Berlin führen die Initiatoren des Mahnmals für die Juden und die Politiker gemeinsam Kasperletheater auf. In immer neuen Symposien wird verquakt, was eigentlich jeder weiß: Dieses Mahnmal kann niemand bauen, weil ein Mahnmal nicht die angemessene Form für Erben ist, der Taten ihrer Erblasser zu gedenken. Jedenfalls nicht solcher Taten. Mechthild Küpper