Powerplay ohne Power und Play

Ohne 13: Die Maladenversammlung des Meisters Borussia Dortmund verliert mit 2:3 beim erstaunlich spielstarken MSV Duisburg  ■ Aus der Wedau Bernd Müllender

Es war die 77. Minute, Spielstand 2:1. Das Match nimmt gerade seinen Weg in eine nervenzerreibende Schlußphase und der Ball neben der Duisburger Trainerbank den Weg ins Aus. Dort hoppelt er genau dem Schüler André Grüttner (11) entgegen, der ihn, seiner Aufgabe als Balljunge entsprechend, zu stoppen trachtet, um ihn brav zurückzukicken. Doch dieser Spielzug war nicht mit MSV-Coach Friedhelm Funkel abgesprochen. Wild herumfuchtelnd brüllt er das schmächtige Kerlchen so vehement an – „Laß den Ball doch durch, du...“ –, daß dem D-Jugend-Kicker augenblicklich das Wasser in die Augen schießt. Dieser Traumjob! Mittenmang! Den Stars so nah! Und dann macht mich der Trainer, statt meine perfekte Ballbehandlung zu loben, zum Depp, daß es die halbe Tribüne hört! Ein Ordner kommt den Untröstlichen trösten. André heult Rotz und Wasser. Funkel kommt auch und tröstet. Erfolglos. Markus Marin kommt, schenkt ihm sein Trikot. Schüchtern nimmt es der verschämte Knabe, den Kopf gesenkt. Prasselnder Applaus.

Fußball beim MSV heißt Arbeit. Für alle. Zusammenhalt und Maloche im Team. Vor der Saison war der Aufsteiger Abstiegskandidat Nummer Eins. Mit grauenvoll unattraktivem Gekicke war man, scheinbar zufällig, in die Bundesliga hochgespült worden. Dann ein Schreckensstart. Doch seit November überzeugt der MSV mit fast unverändertem Personal und ist nun zumindest rechnerisch einem Uefa-Pokalplatz näher als dem Abstieg.

Liegt's am Trainer? Vielleicht. Weil der so unscheinbar arbeitet und unspektakulär. Friedhelm Funkel scheint ein Händchen zu haben, unerfahrenen Leuten mental soviel beizubiegen, daß sie sich für gut genug und spielstark halten. „Selbstvertrauen erarbeiten“, nennt er das. Und: „Es ist entscheidend im Abstiegskampf, daß alle im Verein bedingungslos vertrauensvoll zusammenarbeiten.“ Notfalls auch die Balljungen.

Natürlich geht es bei aller Taktik und Leidenschaft nicht ohne Glück und groteske Momente: Nach Wohlerts Platzverweis lange in Unterzahl, hatte Duisburg konterstark genügend feinste Riesenchancen. Doch nur kurz nachdem Michael Zorc den vielleicht letzten Elfmeter (Nummer 48) seiner langen BVB-Karriere zum 2:3 verwandelt hatte, vergab eben jener Zorc in der Schlußminute unter 30.000fachem Entsetzenskreischen freistehend vor dem Tor die vielleicht letzte Großchance seiner langen Karriere: MSV-Goalie Gill, eigentlich einer der Ungeschicktesten seiner Gilde, parierte mit Brillanz. Und ausgerechnet der Kapitän und Torschützenkönig beider Meisterjahre hatte vielleicht in diesem Moment die Titelverteidigung versemmelt.

Dortmund begann ohne zehn seiner Stars. Nach weiteren zehn Minuten streikte Paulo Sousas Muskel. Ohne elf also. Später wurden Knut Reinhardt und auch Paul Lambert, der auffälligste Dortmunder der ganzen Saison, weil nie verletzt, ausgewechselt. Es kamen Spieler wie But, Kirowski, Riethmann. Der Meister ohne 13. Immerhin noch zu elft.

Doch Mitleid braucht keiner zu haben mit dem BVB. Die Bayern des Ruhrgebiets hatten dank ihres finanzstark reichhaltigen Kaders immer noch erfahrenere Leute auf dem Platz als das MSV-Ensemble mit Leuten wie Vana, Puschmann, Hirsch, Reiter, Gill. Vor allem hatten die Dortmunder keinen Unberechenbaren wie Bachirou Salou mit dem kurios unkonventionellen Bewegungsablauf. Der togolesische Angriffskoloß bringt manchmal über Wochen nichts außer die Nerven aller in Wallung. Am Samstag düpierte er die Abwehr der Champions, daß es eine Lust war. Salou zeichnete hauptverantwortlich für alle Tore und hätte selbst noch drei mehr schießen können. Allein das grandiose zweite Tor nach Salous Vollgas- Solo von Strafraum zu Strafraum war eine Kuriosität fürs Geschichtsbuch der Liga.

Woran Dortmunds Verletztenserie liegt? Ihren Chefarzt haben sie schon ausgewechselt, offenbar erfolglos. Vielleicht wird der freundliche Herr Hitzfeld bei den Übungsstunden zum fußballdarwinistischen Menschenschinder nach dem Motto: Wer das Training überlebt, spielt. Im Match fehlen dann Saft und Kraft: Powerplay ohne Power und mit wenig Play. Kollege Funkel wollte hinterher ein nice guy sein und entschuldigte sich vor der Presse bei seinem Balljungen: „Tut mir sehr leid für den armen Kerl. Ich muß lernen, mich da besser im Griff zu haben.“ Quatsch: Im Abstiegskampf müssen alle schon mal ein Opfer bringen. Als Tapferkeitsprämie kriegen sie ja auch ein originalverschwitzes Trikot und verlassen schließlich strahlend das Stadion.

Borussia Dortmund: Klos - Feiersinger - Heinrich, Kree - Ricken, Lambert (55. Kirovski), Zorc, Sousa (13. Riethmann), Reinhardt (72. But) - Tretschok, Chapuisat

Zuschauer: 30.500 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Salou (8.), 2:0 Marin (47.), 2:1 Ricken (60.), 3:1 Zeyer (86./Foulelfmeter), 3:2 Zorc (88./Foulelfmeter)

Rote Karte: Wohlert (52.) wegen Tätlichkeit

MSV Duisburg: Gill - Emmerling - Nijhuis, Reiter - Salou, Vana, Wohlert, Zeyer, Puschmann - Marin (57. Steffen), Osthoff (75. Hopp)