: Verkneift euch eure Visionen
■ „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ (Brecht)
In meiner Generation ist Politik einfach kein zentrales Thema mehr, denn dazu sind wir zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. [...] Jedes politische Engagement liegt uns fern, denn das würde bedeuten, daß wir ein Stück unserer Bequemlichkeit aufgeben müßten, die wir uns in Jahren harten „Trainings“ erworben haben. Wir sind die Generation, die im Geiste von Freiheit und Individualität erzogen worden ist, und das sind nun die Folgen. Wo findet man denn heute noch echtes Engagment in unserer gesamten Gesellschaft. [...]
„Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“ Wirkliche Idealisten, die noch an eine bessere Welt glauben bzw. daran bauen wollen, sind selten geworden. Man engagiert sich doch nur noch, wenn es um Probleme geht, die einen direkt betreffen. [...] Sobald Probleme nicht mehr akut sind, werden sie vergessen bzw. man schiebt diese Probleme von sich. Es ist schon bezeichnend für uns, daß man uns fragt, ob Sichanziehen ein politisches Statement ist. In diktatorischen Systemen kann dies vielleicht sogar zutreffen, aber nicht bei uns, denn wir glauben zwar, so ein politisches Statement oder Signal zu setzen, aber lassen uns nur ganz einfach in eine schöne Schublade stecken. Politisch wird man niemals durch seine Klamotten. Politik geschieht im Kopf, manchmal sogar im Herzen, aber wenn man nicht mehr in der Lage ist, seine Einstellung anderen zu eröffnen, dann läuft einiges falsch und zeigt, wie krank wir schon sind. [...]
Politische Jugendkultur ist tot, war vielmehr zu meiner Zeit niemals wirklich existent. In diesem Bewußtsein leben wir, und deshalb wird sich nichts verändern. Daraus habe ich für mich persönlich die Schlußfolgerung gezogen, daß ich mich auf niemanden verlassen kann. Ich will nicht verändern, will keine bessere Welt, sondern meinen Weg gehen, vielleicht einmal provozieren, aber mehr auch nicht. Das Leben hat eine ziemliche Absurdität entwickelt, der wir uns nun stellen bzw. mit welcher wir uns treiben lassen. [...]
Zum Schluß noch eins: Verkneift euch eure Visionen. Solange der Selbstbedienungsladen noch geöffnet ist, werden wir weiter nehmen, ohne zu geben. Christian Müller, 21, studiert Jura und Geschichte
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