: Eiskalt zermahlen
■ Die Industrie weigert sich, eine neue Technik des Kunststoffrecyclings zu nutzen. Das Kryo-Verfahren könnte Arbeitsplätze schaffen und Müllberge reduzieren
Die Technik scheint genial. Ist umsetzbar. Basiert zu 90 Prozent auf vorhandener Technik. Mit ihr ließe sich Geld verdienen. Sie könnte Arbeitsplätze schaffen und sie würde Müllberge reduzieren. Denn sie basiert auf Müll. Zumindest aus Teilen des Ganzen.
Der Durchbruch im Abfallkreislauf? Endlich eine der Innovationen, die sämtliche Politiker in sämtlichen Reden ständig fordern? „Zum ersten Mal in der Geschichte ist echtes Recycling von Kunststoff und Gummi machbar.“ Professor Dr. med. Harry Rosin, Leiter des Hygiene-Instituts der Stadt Dortmund und Vater der „Kryo“-Technik, wartet noch darauf, daß ihm Politiker und Wirtschaftsbosse freudestrahlend die Tür einrennen. Tun sie aber bislang nicht. Dabei ist die Idee bestechend: statt wegzuwerfen, Ware daraus machen. Verwerten, verkaufen, verdienen – und wie nebenbei und doch beabsichtigt, die Umwelt entlasten. Gleich vier Überraschungen in einem. „Wenn Müll nicht mehr Müll hieße, wer käme dann noch auf die Idee, Ware zu verbrennen oder im Freien zu verbuddeln?“ fragt Professor Rosin. Doch bis jetzt mochten ihm nur wenige folgen.
Altreifen, Teppichböden oder Elektronikschrott – für Rosin haben diese noch lange nicht ausgedient, wenn andere sie als nutzlos deklarieren. Sie liefern vielmehr wieder Rohstoffe, aus denen neue hochwertige Produkte entstehen können. Nicht die berühmten Kunststoff-Parkbänke sind gemeint: Mit der von ihm entwickelten Kryo-Technik können Altreifen, Teppichböden und Elektronikschrott so zerkleinert werden, daß das Mehl oder Granulat als „nahezu sortenreines Recyclat“ wieder zu hochwertigen Produkten verarbeitet werden kann. Das geschieht durch eine sogenannte Kälteschrumpfung Dabei werden unzerbrechliche, zäh-elastische Kunststoff- und Gummiprodukte bei Temperaturen zwischen minus 60 und minus 140 Grad so spröde, daß sie sich leicht und materialschonend zermahlen und in verschiedene Sorten separieren lassen, ohne ihre Strukturen zu verändern. „Wir können ein Mehl zur Verfügung stellen, das der Neuware entspricht,“ sagt Rosin.
Es gibt zwar ähnliche Projekte, die ebenfalls mit Kälte funktionieren – doch die arbeiten mit flüssigem Stickstoff als Kühlmittel. Ein teures Verfahren. Die Kryo- Methode arbeitet dagegen auf Basis der Kohlenwasserstoff-Kältechnik, bekannt vom „Öko-Kühlschrank“. Das Verfahren des FCKW- und FKW-freien Kühlschranks, in Sachsen produziert, von Greenpeace protegiert, wurde von Professor Rosin ebenfalls entwickelt. Bei der Kryo-Technik werden in einem geschlossenen System die Gase Propan, Ethan und Methan in einer sogenannten Kaskadentechnik hintereinander geschaltet und helfen sich so gegenseitig, die nötigen Minusgrade zu erreichen. Verschiedene Mühlen zerkleinern das spröde Material, über elektrische Aufladung und andere Auswahlverfahren werden die einzelnen Komponenten getrennt: Fertig ist das nahezu sortenreine Recyclat, dessen Oberfläche nicht verändert ist und deshalb bei der Verarbeitung genau die gleichen Reaktionen und die gleiche Bindefestigkeit zeigt, wie neuwertige, aus Erdöl hergestellte Grundstoffe. Daß dies bisher in dieser Form nicht oder nur sehr aufwendig produziert zur Verfügung gestellt werden konnte, ist stets das Argument der verarbeitenden Industrie gewesen, solches Recyclat für hochwertige Produkte nicht verwenden zu können.
„In Müllverbrennungsanlagen zu investieren, ist phantasielos“, sagt Professor Rosin. In den vergangenen Jahren hat er in diesem Punkt jedoch jede Menge phantasielose Menschen kennengelernt. Selbst Berechnungen in einer Vorstudie, die die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen 1994 in Auftrag gegeben hatten, und die bestätigen, daß das Tieftemperaturverfahren (bei einer Kapazität von fünf Tonnen pro Stunde) einen Erlös von rund 1.400 Mark bei Kosten von rund 180 Mark pro Tonne erzielen kann und damit mit einer doch beträchtlichen Gewinnspanne ausgestattet ist, halfen nicht weiter. Denn mit dieser Technik gibt es ein Problem: Sie kommt der Industrie in die Quere, die lieber neu aus Erdöl Kunststoff oder Kautschuk produziert oder das Müllverbrennen zu ihrem Geschäft gemacht hat. Die Lobby ist stark. „Erfinder des Tiefkühlrecyclings sollte kaltgestellt werden“, titelte 1994 der BUND in einer Pressemitteilung. Dabei ging es um den geplanten Bau einer Müllverbrennungsanlage in Dortmund, der Rosin seine Alternative entgegensetzte. Seitdem steht seine Kryo-Anlage im Labormaßstab nicht mehr im Hygiene-Institut.
Es ist aber nicht nur der Umweltaspekt, der die Kryo-Technik zu einer echten Alternative werden läßt: Auch im internationalen Wettbewerb könnte sie der deutschen Wirtschaft Vorteile bringen, ist sich Professor Rosin sicher. „Abfälle sind eine Rohstoffquelle, die wir einfach mißachten. Statt sie zu nutzen, verbrennen wir sie. Es kann so nicht weitergehen, daß wir immer Erdöl kaufen und es teuer zu Kunststoff machen.“ Durch die Beimischung der in der Herstellung preiswerteren sortenreinen Recyclate könnten die Rohstoffkosten der Kunststoff- und Kautschukprodukte erheblich gesenkt werden. Und dies machte sie gegenüber den Produkten der sogenannten Billiglohnländer wieder wettbewerbsfähig. Das würde nicht nur Arbeitsplätze in Deutschland sichern, sondern auch schaffen: Indem in zahlreichen Städten Recyclingfirmen entstünden, von denen sich die einen auf das Verwerten von Elektroschrott spezialisierten, die anderen auf das von Altgummi und die dritten sich des PVC annähmen.
Noch gibt es keine Pilotanlage. Professor Rosin ist jedoch bei allen Widerständen zuversichtlich: Auch der Öko-Kühlschrank habe sich schließlich durchgesetzt. Seine Hoffnungen ruhen auf dem Unternehmen Mannesmann-Demag. Das sei derzeit dabei, ein Konsortium zu bilden, um eine Pilotanlage zu bauen. „Es ist des Schweißes der Edlen wert, ganz schnell dafür zu sorgen, daß diese Technologie auf längere Sicht Arbeitsplätze bei uns schafft und sichert.“ Ralf Ansorge
Kontakt: Harry Rosin, des Hygiene-Institut Dortmund, Hövelstr. 8, 44137 Dortmund, Tel. 0231/5023615
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